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Maria am Wünschelbrunnen

■ Religionsfriede made in L.A.: In seinen neuen Arbeiten setzt sich der kalifornische Post-Trash-Künstler Mike Kelley mit Buddhismus und Katholizismus auseinander

Sein ehemaliger Lehrer an der Kunsthochschule in Los Angeles, John Baldessari, bemerkte einmal zu Mike Kelley: „You have catholic tastes.“ – „Of course, I've been raised Catholic“, sagte Kelley. Der Unterschied ist kapital.

Baldessari wollte auf den umfassenden Geschmack, die vielfältigen Techniken und Interessen seines Zöglings anspielen, was im griechischen Wortsinn von katholikos noch mit anklingt. Dagegen sieht Kelley seine künstlerische Herangehensweise tatsächlich im Geist des Katholizismus, in dem er erzogen wurde, und benennt den zentralen Komplex, der seine Arbeiten zusammenhält: das Spiel von offiziell erlaubten und stillschweigend konnotierten Bedeutungen; die Subversion von „reinen Begriffen“ wie Gott, Kunst oder Kindheit durch ihre undurchsichtigen Realitäten.

Kelleys neueste Arbeit, bis in die ersten Maiwochen in der New Yorker Galerie Metro Pictures zu sehen, ist in diesem Sinne selbst ganz wörtlich und rein, obwohl ihr Anblick die gleichen Assoziationen von Schmutz, Scheiße und verbotener Lust auslöst wie seine anderen Arbeiten. Im Maßstab 1:1 bildet die Skulptur einen Wünschelbrunnen aus der Chinatown in L.A. nach. Der amorphe Felsbrocken ist voller Grotten und Höhlen, in denen eine Unzahl kleiner Buddhas stehen. Aber auch viele Marienstatuen sind darunter, die um die Opfergaben konkurrieren.

Die historische Pointe, die Kelley hier für sich arbeiten läßt, breitet er auf einem Tisch voller Fotos und Erläuterungen aus. Verschiedene alte Postkarten des Original-Brunnens dokumentieren, wie sich katholische und „heidnische“ Ikonographie in der beliebten Pilgerstätte keineswegs ausschließen, sondern in einem organischen Wachstumsprozeß überlagern und durchdringen. Die Entwicklung gipfelt darin, daß der Buddha auf der Spitze des Felsens durch ein Kreuz ersetzt wird. Diese feindliche Übernahme wirft nun wieder ein anderes Licht auf den Religionsfrieden, den die hybride Glaubenskultur der Pilger in den tieferen Etagen stiftet. Kelleys wenige künstlerische Eingriffe bei seiner Version des Brunnens beziehen sich darauf.

Obwohl der Brunnen in Los Angeles selber inzwischen verfallen ist, wirkt das Plastikimitat in den Galerieräumen noch einmal siecher. Die nachgebildeten kahlen Steine und toten Äste, die verblichenen und kopflosen Statuen sind Symbole einer doppelt öden Schädelstätte.

Durch das lieblos hingeklatschte Betonfundament öffnet sich unterdessen der Blick auf eine Matratze, die Kelley unter das ausgehöhlte Modell geschoben hat und die mit einer typisch angeschmuddelten Häkeldecke zu verbotenen Träumen einlädt.

Effektvoll ist auch die Abtrennung des hohen Stacheldrahtzauns um den realen Brunnen, den Kelley separat im nächsten Raum aufgestellt hat. Der Blick richtet sich so ganz auf den Zaun als eine martialische Umverpackung, die (zum Schutz gegen Wirbelstürme) erst spät an der Pilgerstätte errichtet wurde und deren spielerische Dekoration mit Lampions und Pagodenaufsätzen völlig deplaziert wirkt.

An den Wänden erzählen großformatige Schwarzweißfotos von Kelleys nächstem Wunschprojekt mit einem Menhir auf Jütland. Der Stein wurde mit einem Zaun, Inschrift und Adlerwappen versehen. „Ist dies ein Versuch, seine heidnische Ungehemmtheit einzuzäunen?“ schreibt Kelley dazu mit Blick auf die phallische Form. Die Frage spielt, schwer übersetzbar, mit dem Bedeutungskontext von „exhibition“ = Ausstellung, Zur-Schau-Stellung und „un-inhibition“ = Enthemmung. Aber Mike Kelleys Antwort ist unmißverständlich klar: „Ihn wieder zu befreien erscheint mir eine erotische Operation.“ Henrike Thomsen

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