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Es bleibt ein Stück Hannover zurück  ■   Wiglaf Droste

Hannover – was für ein Wort! Kundigen wird der Mund trocken, ihr Magen zieht sich zusammen, das Blut fällt ihnen aus dem Gesicht direkt in die Füße. Und doch hat die Stadt, aus der Gerhard Schröder kroch, auch ein Gutes: Man kann sie leicht verlassen. Zugreisende wissen es längst: Hannover ist geradezu ideal zum Umsteigen und Wegsein.

Auf dem Weg nach Bremen wurde ein Hannover-Aufenthalt von 20 Minuten bereits als bedrükkend empfunden; ich erbot mich, etwas Reiseproviant zu besorgen, und verschwand in den Untiefen des hannöverschen Hauptbahnhofs. Eine Imbißbude lockte mit fiesem Geruch. Es gibt diese Tage, an denen man glaubt, so etwas essen zu wollen; für meine Begleiter erstand ich zwei Hot Dogs: Weichwürstchen im Weichbrötchen, Erzeugnisse, wie sie von richtiger Wurst und richtigem Brot nicht weiter entfernt sein könnten. Dasselbe galt auch für das Ensemble, das ich mir selbst gönnte: eine Bratwurst im aufgeschnittenen Brötchen mit einem Strang grellgelbem Senf drauf.

Die in Alufolie eingewickelten Hot Dogs in der linken und mein Bratwurstbrötchen in der rechten Hand, ging ich zurück und biß auf dem Weg schon mal ein Stück Wurstriemen ab. Und, weil es so sonderbar schmeckte, gleich noch einmal. Kaum daß ich den Bahnsteig erreicht hatte, waren offenbar auch die zwei Wurstbissen beim Magenpförtner angelangt. Der gab ihnen allerdings einen entschieden abschlägigen Bescheid. Mit Händen und Füßen, das merkte ich nun ebenso plötzlich wie vehement, wehrte sich mein Magen gegen das hochtoxische Wurst-Senf-Gemisch. Es gelang mir, die Reste des Bratwurstbrötchens, die ich noch in der Hand hielt, in einem ihnen angemessenen Aufbewahrungsort zu versenken, einem Mülleimer, so daß ich die Rechte wieder frei hatte; ich brauchte sie auch dringend, um mir den Mund zuzuhalten, denn dem Magenpförtner war es ganz offensichtlich gelungen, die Wursthalunken davonzujagen, und nun waren sie auf dem schnellsten Weg ins Freie.

Dagegen hatte ich auch nichts einzuwenden – allerdings: nicht jetzt, nicht hier!, wie es in diesen Filmen immer heißt; es war heller Nachmittag, der Bahnsteig mäßig mit Menschen besetzt und ein angenehmer, weil anonymer Ort zur Entsorgung nirgends in Sicht. Gott, wie peinlich, dachte ich; Verzweiflung machte sich in mir breit wie Wurst hinter meinen Zähnen, die ich zusammenbiß wie nie und zur Sicherheit noch die freie Hand davorpreßte. Dieser äußerste Verteidigungsdamm, noch hielt er, noch brach er nicht.

Weiterhin die Hot Dogs in der Linken balancierend, taumelte ich den Bahnsteig entlang, Bahnsteig 13 las ich immer wieder, Bahnsteig 13, wieso las ich das?, egal, hastete, nur weiter! nur weiter!, dem Druck kaum mehr standhalten könnend, das Pflaster entlang, bis endlich niemand mehr vor mir zu sehen war und ich zum Stehen kam, um, selbst verwundert über diese Premiere, eine hellgelbe Fontäne in erstaunlich elegant geschwungenem Bogen auf die Bahngleise sich ergießen zu sehen. So muß sich Jesus gefühlt haben, als er sagte: Es ist vollbracht.

Dann kam auch schon der Zug, erleichtert verließ ich Hannover und sah, ganz entspannt, meinen Reisebegleitern beim Verzehren ihrer Mahlzeit zu.

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