piwik no script img

„Nato hat Anlaß genug zu einer Feuerpause“

■ Professor Ernst Otto Czempiel, Mitarbeiter am Hessischen Institut für Friedens- und Konfliktforschung, über die strategische Perspektive des G-8-Plans für das Kosovo

taz: Für wie wahrscheinlich halten Sie die Möglichkeit, daß China nach der Bombardierung seiner Botschaft in Belgrad den Plan der G 8 zur Lösung des Kosovo-Konflikts im UN-Sicherheitsrat blockiert?

Czempiel: Es ist überhaupt nicht sicher, daß China diesen Plan blockieren wird. Es ist auch nicht klar, ob China vorher eine UN-Aktion im Kosovo durch ein Veto verhindert hätte. Das hat der Westen zwar immer behauptet, aber nie getestet. Es hätte ja sehr gut sein können, daß China und Rußland einer Friedenssicherungsaktion der UNO im Kosovo zugestimmt hätten. Das hätte die Absicht der Nato zunichte gemacht, ihrerseits ohne die UNO Gewalt im Kosovo anzuwenden. Es wird den Russen und Chinesen immer eine UNO-feindliche Politik unterstellt. Das ist aber nicht belegt. Von seinen eigenen Interessen her müßte China bereit sein, ein solches Abkommen, wenn es denn überhaupt zustande kommt, im Sicherheitsrat zu stützen und mit einer Friedenstruppe abzusichern.

Wo liegen die Knackpunkte bei der Umsetzung des G-8-Planes?

Dieser Plan ist ganz statisch abgefaßt, als ein Positionspapier. Er hat keine strategische Perspektive. So ist überhaupt nicht davon die Rede, wann und unter welchen Bedingungen die Nato-Bombardierungen eingestellt werden und welche Schritte Serbien in welcher Folge tun muß, damit sie aufhören. Das Papier beschäftigt sich im wesentlichen mit der Frage, wie die Zukunft des Kosovo aussehen soll. Es beschäftigt sich überhaupt nicht mit der Frage, wie man dahin kommt. Hier hat natürlich die Bombardierung der chinesischen Botschaft auf absehbare Zeit das Klima vergiftet. Das gibt denjenigen, die an einer Lösung, wie sie die G 8 vorgeschlagen hat, nicht interessiert sind, die Möglichkeit zu Störaktionen.

Wie sehen Sie die Rolle Rußlands und das Bemühen des Westens, Moskau wieder stärker in den Prozeß einzubinden?

Wir haben hier einen großen Fortschritt zu verzeichnen. Neben der Ausschaltung der UNO war es eine weitere Absicht der Nato-Aktionen, Rußland außen vor zu lassen, um ausschließlich die Nato als Ordnungsfaktor in Europa durchzusetzen. Da hat der vor allem von Bonn geförderte Versuch, Rußland zu integrieren, zunächst einmal schon das Ruder umgelegt. Die Tatsache, daß die G 7 mit Rußland zusammen getagt hat, korrigiert den Fehler vom 24. März und stellt den Status quo ante wieder her. Denn in Rambouillet war Rußland Mitglied der Kontaktgruppe. Insofern hat der Westen hier eine wichtige Konzession gemacht, wiederum eine, die von den europäischen Mitgliedern der Nato getragen worden ist und von den USA eher mit süß-saurer Miene aufgenommen worden ist. Andererseits ist es völlig widersinnig, ausgerechnet Rußland die Verantwortung dafür aufzubürden, den Konflikt beizulegen. Denn jetzt ist doch die Nato der entscheidende neue Konfliktpartner, der durch die Bombardements den größten Beitrag zu diesem Konflikt geleistet hat.

Seit seiner Ausreise scheint der gemäßigte Führer der Kosovo- Albaner, Ibrahim Rugova, wieder zum bevorzugten Verhandlungspartner des Westens zu avancieren. Demgegenüber lehnt die Kosovo-Befreiungsarmee UÇK einige Punkte des G-8-Plans, so etwa ihre Entwaffnung, entschieden ab und behauptet, Rugova habe kein Verhandlungsmandat der Albaner.

Es ist schwer abzuschätzen, welche Bedeutung Rugova und die UÇK heute für die Vertretung der Albaner haben. Rugova ist zwar noch der Repräsentant der Albaner, aber ich glaube nicht mehr, daß er deren Politik sehr stark beeinflussen kann. Andererseits tut der Westen gut daran, Rugova zu stützen. Das hätte er schon in Rambouillet viel stärker tun sollen. Es war ein strategischer Fehler par excellence, die Konferenz zugunsten der UÇK zu unterbrechen. Die UÇK ihrerseits ist schwer zu durchschauen, sowohl im Hinblick auf ihre politische Bedeutung, wie die Einheitlichkeit ihrer Führung und militärische Potenz. Die UÇK lehnt den G-8-Plan in zwei Punkten ab: ihre Entwaffnung und die Unabhängigkeit des Kosovo, von der nicht mehr die Rede ist. In den nächsten Stadien der Konfliktbearbeitung wird man sehen, welche Rolle die UÇK wirklich spielt, und ob sie in der Tat eine bedeutende Mehrheit der Kosovo-Albaner hinter sich hat. Ich bezweifle das, um so mehr, als ich davon ausgehe, daß gerade die Anhänger der UÇK in ihrer Mehrheit von den Serben vertrieben worden sind.

Trotz diplomatischer Bemühungen gehen die Bombardements weiter. Welches Szenario sehen Sie für die nächsten Wochen?

Der G-8-Plan, bei dem Bundesaußenminister Joschka Fischer eine wichtige Rolle spielt, zeigt das Bemühen, ein diplomatisches Gremium in Gang zu bekommen. Dabei müßte der eigentliche Adressat die Nato-Führung sein. Das heißt, die G-8-Gruppe müßte der Nato-Führung sagen: Jetzt stellt ihr die Bombardierungen ein, und wir warten erst einmal ab, wie sich Belgrad zu diesem Plan stellt. Seit dem 24. März ist die Nato aus der Rolle des Vermittlers in die eines Konfliktpartners der Serben gefallen. Trotzdem hätte sie es in der Hand, durch die Einstellung der Bombardements für eine gewisse Zeit die Initiative zurückzugewinnen und der Diplomatie eine Chance einzuräumen.

Das heißt eine Feuerpause?

Mit Fischer würde ich sagen: Jetzt 24 Stunden unterbrechen, und wenn die Serben darauf reagieren, indem sie beispielsweise mit dem Rückzug beginnen, dann die Feuerpause verlängern und die Beratungen mit Belgrad im Rahmen der Kontaktgruppe über die Implementierung des G-8-Plans wieder aufnehmen. Die Nato kann sich das leisten, sie ist militärisch stark genug, hat genügend Fehler gemacht und damit allen Anlaß, dies zu tun.

Interview: Barbara Oertel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen