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Hertha: Siegestaumel und Einkaufsrausch

■  Nach dem Einzug der Berliner in den europäischen Fußballwettbewerb sind die Hertha-Bosse nicht mehr zu halten. Kritik an den Millionenausgaben ist auf der heutigen Mitgliederversammlung nur vereinzelt zu erwarten

„Ich bin stolz auf diese Mannschaft“, schwärmte Hertha-Trainer Jürgen Röber nach dem 2:0 am Freitag gegen Rostock von sich und seinen Spielern. Nach 21 Jahren Abstinenz vom europäischen Fußball kehren die Berliner kommende Saison auf die internationale Bühne zurück – entweder in den Uefa-Cup oder das Nonplusultra des europäischen Fußballs, die Champions League. Ein historischer Fakt, den die Mitglieder auf der heutigen Mitgliederversammlung im ICC gebührend zu feiern wissen werden.

Doch der Himmel über Berlin hängt nicht nur voller Geigen, Herthas Machern rauchen die Köpfe, wenn sie an den Sprung ins „Haifischbecken Europa“ denken, in dem die Berliner schleunigst schwimmen lernen müssen, um nicht baden zu gehen. Insgesamt etwa 80 Millionen Mark Startgeld kassieren die bis zu vier deutschen Klubs in der Meisterliga. Doch der finanzielle Einsatz beim Kampf um europäische Würden ist hoch.

Um sich im Konzert der Meister nicht zu blamieren, fordert Röber dringend Verstärkungen für sein Team. Manager Dieter Hoeneß hat ein Einsehen: „Wir brauchen zwei, drei fertige Spieler und werden zudem den einen oder anderen jungen Mann zu uns holen“, kündigte das Vorstandsmitglied im Deutschen Sportfernsehen vollmundig an, schränkte jedoch die Personalauswahl ein: „Wir werden aber nicht wie verrückt Namen kaufen.“ Denn die seien bloß teuer, böten aber keine Gewähr für sportlichen Erfolg.

Die Realität spricht allerdings eine andere Sprache. So will Hertha den fast in Vergessenheit geratenen Christian Ziege von seinem Reservistendasein beim AC Mailand erlösen – die Italiener verlangen 9 Millionen Mark Ablöse. Hoeneß verteidigt die geplante Rückholaktion für den gebürtigen Berliner, der nicht einmal mehr im Notizbuch von Bundestrainer Erich Ribbeck steht. „Christian würde sehr gut zu uns passen. Er braucht ein intaktes Umfeld, das hat er bei uns.“ Kandidat Nummer zwei ist Rostocks Marko Rehmer, der 1997 von der Spree (1. FC Union) für mickrige 600.000 Mark an die Ostsee ging. Nun verlangen die Nordlichter schlappe 10 Millionen Mark, falls der Verteidiger schon ab 1. Juli 1999 das Hertha-Trikot tragen will.

Daß auch junge Nobodys ihren Preis zu steigern wissen, wenn ein reüssierender Arbeitgeber anklopft, beweist der 19jährige Sebastian Deisler, der für Bundesliga-Absteiger Mönchengladbach nicht einmal 20 Partien bestritt. Doch die Berliner blätterten 4 Millionen Mark auf den Tisch, um den Jungspund vom Niederrhein an die Spree zu holen. Da wollte selbst Krösus Bayern München oder Leverkusen, mit dem Bayer-Konzern im Rücken, nicht mehr mitbieten.

Die Berliner haben eine gefährliche Preisspirale in Gang gesetzt. Durch die teuren Transfers werden zudem neue Begehrlichkeiten im aktuellen Kader geweckt. So pokert zum Beispiel Michael Preetz, Deutschlands derzeit erfolgreichster Torjäger und der Hauptgarant des rasanten Aufstiegs, seit Monaten um eine lukrative Verlängerung seines im Jahr 2000 endenden Arbeitsvertrages. Preetz, der bislang relativ bescheidene 900.000 Mark pro Saison einstreichen soll, bekam einen neuen Zweijahreskontrakt angeboten, der dem fast 32jährigen Stürmer angeblich 3 Millionen Mark Jahressalär zusichert.

Dabei hat Hertha – trotz der verständlichen Europa-Euphorie – nichts zu verschenken. Der Deutsche Fußball-Bund beäugt die Hauptstadt-Kicker ohnehin mit Argwohn wegen der rund 11 Millionen Mark Verbindlichkeiten und einer wachsenden Abhängigkeit von Marketingpartner Ufa, der sich sein finanzielles Engagement an der Spree bislang stets mit einer größeren Machtfülle bezahlen ließ. Selbst eingefleischte Fans und Miglieder unken vor der heutigen Feier im ICC, waghalsige Investitionen in das Unternehmen Europa könnten der „alten Dame“ Hertha gar nicht gut bekommen. Jürgen Schulz

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