piwik no script img

Sinnsoldaten

Beliebig: „Unabombing“ bei den „Jungen Hunden“  ■ Von Birgit Glombitza

Als Theodore Kaczynski seine Wut über das Land schickte, bekam er endlich, was er wollte. Dazu brauchte es keine Bekennerschreiben oder Forderungslisten. Er war der Zorn seines eigenen Gottes und wurde – wie der Himmlische Vater – auch ohne Eigennamen berühmt. Siebzehn Jahre lang verschickte er anonym seine explosiven „Pakete mit gesellschaftlicher Bedeutung“ als Rache für eine Welt der Ignoranten, die dem Mathematiker Kaczynski den Nobelpreis vorenthalten und obendrein nicht einsehen wollen, daß ein zügig und absichtlich herbeigeführter Zusammenbruch aller Systeme für die Menschheit glimpflicher ausfällt als ein unausweichlicher ökologischer und industrieller Kollaps.

Der Unabomber, Amerikas meistgesuchter Terrorist und Verfasser eines umfangreichen Manifests (Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft), liefert Michael Bandt für seine Inszenierung Unabombing, die sein Studium am Institut für Schauspieltheaterregie Hamburg abschließt, ein Bilderbuch-Potential an inbrünstigem Protest.

Doch Bandt reicht der Original-Unabomber als spektakulärer Hintergrund. Ihn interessiert der Terror allein als seltsames Konstrukt, das auf dem Objektträger der Abge-klärten zur Pose der Zukurzgekommenen gerät. So fahndet Unabombing nach dem Jedermann-Bombenleger, nach all jenen tickenden Zeitbomben aus Fleisch und Blut, in denen frühe Demütigungen zur Detonation reifen. Dabei bastelt das Stück seine Sprengsätze auf menschlichen Allgemeinplätzen, reibt sich am Klischee und schlägt seine Funken aus Gegensatzpaaren wie Mann und Frau, Zivilisation und Wildnis, Ohnmacht und Allmacht.

Die Frauen (gespielt von Juliette Groß und Verena Unbehaun) sind hysterisch, manisch, depressiv. In der Natur und beim Kaninchenjagen feiern ihre Triebe und ihre Zerstörungslust Betriebsausflug. Hier beißt die Chefin selbst zu, bis das Kaninchen das Zappeln läßt und die Konkurrentin staunend aufgibt. Ihre Krankheit ist die Einsamkeit am Ende der Nahrungskette. Die Männer mit Baseballkappe, Cowboyhut und Campingtisch (Stefan Düe und Matthias Pantel) bilden eine jämmerliche Nachhut all jener Eroberer, die mit Unterwerfung und Zerstörung das Unbegrenzte schlechthin bezugsfertig machen wollten. Doch mit Buffalo Bill auf dem T-Shirt und leicht entzündlichen Nerven darunter kann auch die Kleinsparerseele ihren Weg mit Leichen pflastern. Und wer nicht geliebt wird in einer Welt ohne Mitleid und obendrein ein Trotzköpfchen ist, der wird eben Terrorist.

Michael Bandts Inszenierung liefert eine lose Symptom-Sammlung, die sich in amüsanten Details verzettelt und in Beliebigkeiten verirrt. Terror, das ist hier die Rache für den Weiberrock, den der Vater seinem Sohn überzog, als der ein Cowboy werden wollte. Amok, das ist die nachgereichte Ohrfeige für Vergewaltigungen und andere Entwürdigungen. Und manchmal ist der Knall auch nicht mehr als Blähungslärm, der die Langeweile übertönen soll.

Das Glück umarmt in Unabombing nur ausdauernde Solipsisten. Denn eigentlich sind die Brüller, Heuler und Bomber auf der Bühne tapfere kleine Sinnsoldaten, die nach allem Begriffsschlamm einmal festen Boden unter den müden Füßen spüren möchten. Die endlich wieder einmal sagen können möchten: „Das ist.“ Das ist wenig in Zeiten, in denen Bomben mit Bekennerreden und ideologischen Empfehlungen wie „Nie wieder Auschwitz“ den Balkan aushöhlen. Ein merkwürdig selbst sattes Vakuum breitet sich hier aus. Protest ist irgendwie doof, so raunt es aus allen Ecken, und wer weiß schon, wie man eine schicke Faust ballt. Ob ungenutzte Notrufsäulen (Bühnenbild: Sonja Kloevekorn) oder durchgeschnodderte Amerikanismen. Alles wirkt geborgt und dann auf den großen Haufen benutzter Zitaten-T-Shirts geworfen.

Das Ende gehört simplem Individualismus. Ein Kanon aus Fragen und Befindlichkeiten, wie jene vom Sorgenstrich der Talkshows, wird angestimmt. So scheint Unabombing schließlich die Beschränkung an sich zu feiern: auf den Einzelnen, auf beliebige Befindlichkeiten und auf ein Theater, das nichts anderes zu zelebrieren weiß als fröhliche Haltungslosigkeit.

noch heute und Donnerstag, 20 Uhr, Kampnagel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen