Das quotierte Klassenzimmer
: Positiv diskriminiert

■ Auch wer von der Herkunft absieht, schafft keine ethnisch gerechte Schule

Am Montag vor 45 Jahren entschied Amerikas Oberstes Bundesgericht, daß Rassentrennung an den Schulen den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung verletzt. Die Richter ordneten an, daß Schwarze in weiße Schulen zu integrieren seien. Fast ein halbes Jahrhundert später sind an Amerikas Schulen die Rassen so getrennt wie eh und je. Der weiße Mittelstand stimmte mit den Füßen den Richterspruch nieder. Er zog nach Suburbia und überließ den Schwarzen die Innenstädte samt öffentlichen Schulen.

Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die Schulen zu integrieren. Doch Integration hat stets mit einem immanenten Widerspruch zu tun. Er besteht darin, daß man auch unter Absehung von Hautfarbe keine farbenblinde Schule hinbekommt – vor allem dann nicht, wenn die schulische Rassentrennung nur ein Spiegel der in der Stadtgeographie ist. Gerade wenn die Ethnie vordergründig keine Rolle mehr bei Auswahl der Schule spielen soll, muß zuallererst auf das Mischungsverhältnis geachtet werden, also auf die Hautfarbe der Schüler .

Die „Magnetschulen“ waren ein Versuch, über Wohnbereichsgrenzen hinweg bestimmte Schulen so attraktiv zu machen, daß sie Schüler aller Hautfarben anziehen würden, die sonst in ihre schwarze oder weiße oder braune Nachbarschaftsschule gegangen wären. Dazu mußten die pädagogischen Magnete den Schülern besondere Programme anbieten, etwa einen musischen oder mathematischen Schwerpunkt, und sie mußten besonders gut sein. Mit der daraus gewonnenen Popularität begann das Problem der Rassentrennung erneut – gewissermaßen auf höherer Ebene.

In Boston und San Francisco lehnten gute Magnetschulen in schwarzen Nachbarschaften ausgerechnet schwarze Schüler ab, weil Platz für weiße Schulkameraden bleiben sollte – logisch und absurd zugleich. Logisch, weil ohne weiße Schüler nicht integriert werden konnte; absurd, weil oft jene Schüler keinen Zutritt erhielten, um derentwillen die Magnetschulen erdacht worden waren.

In Charlotte (North Carolina) funktionierte die Diskriminierung zur Aufhebung der Diskriminierung anders herum. Die begehrte Old Providence Grundschule lehnte ein weißes Mädchen hispanischer Herkunft ab – die freien Plätze sollten an schwarze Kinder gehen. Die Eltern in Boston, San Francisco und Charlotte klagten wegen Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe und Ethnie. Wie auch immer diese Prozesse ausgehen, die Verfahren dürften vor dem gleichen Obersten Bundesgericht landen, das 1954 die Integration des Schulwesens erst in Gang brachte.

Die Schullandschaft ist heute trotz Fortbestand der Rassentrennung eine andere als in den 50er Jahren – sie ist differenzierter, und zum Teil haben sich die Argumente für oder gegen Integration verschoben. Im Prinz Georges County in Maryland zum Beispiel, einem fast homogen schwarzen Mittelstandsvorort von Washington, legen die Eltern nicht den geringsten Wert darauf, daß ihre Kinder woanders zur Schule gehen als in ihre rein schwarze Nachbarschaftsschule. Integration der Schule und Magnetschulen sind hier kein Thema mehr. Andernorts sind es ausgerechnet weiße Eltern, die auf einer ethnisch gemischten Schule bestehen, weil – wie Untersuchungen unter anderem der University of Michigan ergeben haben – Schüler (und Studenten), die in ethnisch und rassisch gemischten Klassen lernen, bessere Leistungen erbringen und im Leben besser zurechtkommen, höhere Positionen erreichen und besser bezahlt werden. Kein Wunder, daß Magnetschulen inzwischen unter weißen Eltern so populär sind. Peter Tautfest