: „Eine große Liebe ist es nicht“
Die große Zahl an Flüchtlingen stellt die Solidarität zwischen Albanern und Kosovaren auf eine harte Probe. Geschäftssinn kommt meist vor echter Hilfsbereitschaft ■ Aus Kukes Erich Rathfelder
Shkelzen Susuri ist mit 31 Jahren ein Mann im besten Alter. Aus der Kosovo-Stadt Prizren am 16. April vertrieben, lebt er jetzt in Kukes, der seiner Heimat nächstgelegenen Stadt in Albanien. Shkelzen ist sorgfältig rasiert, die gewellten Haare sind gefönt, der Sportanzug ist sehr sauber. Ein Mann, der auf sein Äußeres achtet. Mißmutig schaut er auf die vom Müll gesäumte Straße, die zum Polizeipräsidum von Kukes führt.
An dem Gebäude bröckelt der Putz. Die für Besucher aufgestellte Bank im Empfangsraum starrt vor Dreck, so daß sich niemand setzen möchte. Shkelzen will die Fahrerlaubnis für sein Auto verlängern. Von den serbischen Polizisten zur Flucht gezwungen, auf dem Weg zur Grenze an Kontrollstellen um 1.200 Mark erleichtert, konnte er immerhin den alten Opel retten, mit dem er mit seiner Frau, den Kindern wie den Großeltern zur Grenze tuckerte. Die Serben waren nicht interessiert an dem Fahrzeug, sie konfiszieren nur neuere Modelle.
An der Grenze wurden ihm und der Familie die Ausweise abgenommen, die jugoslawischen Nummernschilder abmontiert. Deshalb braucht er jetzt neue Papiere vom albanischen Staat. Die albanischen Grenzer hatten ihm nur eine vierwöchige Fahrerlaubnis erteilt. Er wartet, nachdem er sein Anliegen vorgetragen hat. Doch nichts rührt sich. Die albanischen Behörden seien wohl nicht auf den Ansturm und die neuen Probleme vorbereitet, entschuldigt er. Doch ihm ist anzumerken, daß er ungeduldig wird. Shkelzen versteht die Albaner hier nicht so recht, den Dreck, die Armut. „Die haben doch einen eigenen Staat.“
Sein ganzes Leben hat er in Prizren zugebracht, der Stadt, die mit ihrer Silhouette aus Moscheen, orthodoxen und katholischen Kirchen zu den schönsten der Region gehört, in der es sich trotz der „Herrschaft der Serben“ leben ließ. Er will nicht klagen. Dann erzählt er doch, daß er für den Raum, den er mit seiner Familie jetzt in Kukes bewohnt, 450 Mark im Monat zu zahlen hat. Wer nicht wie die 30.000 Flüchtlinge in einem der Zeltlager in der Umgebung der Stadt leben will und noch über etwas Geld verfügt, hat sich eingemietet in der Stadt, die seit der massenhaften Flucht der Kosovo-Albaner auf weit über 100.000 Einwohner angewachsen ist.
Viele Einheimische haben die Gelegenheit genutzt, die sich ihnen bietet. Sie ziehen zu Verwandten und vermieten ihre Wohnung zu den Preisen, die der Markt ermöglicht. Die besten Wohnungen gehen für 150 Dollar pro Nacht an Ausländer weg, an Mitarbeiter der Hilfsorganisationen, an Journalisten. In den weniger guten Wohnungen werden Flüchtlinge einquartiert. 450 Mark monatlich für einen Raum ist nicht ungewöhnlich. Die Solidarität der albanischen Bevölkerung zu den Kosovo-Albanern ist jetzt oftmals einer geschäftsmäßigen Beziehung gewichen.
Aber einige selbstlose Helfer gibt es noch. So wie Nuhi Elezi, der Volkssänger, der 200 Personen in seinem Haus, dem Garten und dem Gebäude, in dem sich sein Café befindet, ohne Bezahlung aufgenommen hat. Oder wie der Bauer Selim Bytyqi, der 36 Frauen und Kinder aus dem Kosovo auf seinem Hof unterbringen konnte. Doch die Zeit der Hilfsbereitschaft ist ansonsten vorbei. Jetzt treten auch die ersten Probleme auf. Die Albaner des Kosovo und die Albaner Albaniens sind von unterschiedlicher Mentalität. Wie sollte es auch anders sein. 40 Jahre lang waren die Albaner Albaniens während der kommunistischen Diktatur des Enver Hodscha von der Außenwelt abgeschnitten.
Heute ist das Land zum Teil in einem fürchterlichen Zustand. Die Straßen der Innenstadt von Kukes sind von riesigen Schlaglöchern übersät. Keine der Fabriken arbeitet heute mehr. Die Kupfermühle, die noch vor wenigen Jahren Hunderte von Arbeitern beschäftigte, ist eine Industrieruine. Die Wälder des Gjallica-Berges sind wegen der Luftverschmutzung von der Talsohle aus 300 Meter den Berghang hinauf abgestorben.
„Wir konnten uns damals nicht wehren“, sagt Safet Sula, der junge Bürgermeister. Zwar wurden nach dem Sturz des Systems 1990 neue politische Strukturen geschaffen, die Menschen hatten jedoch genug vom Staat. Das gesellschaftliche Bewußtsein sei geprägt von einem Individualismus, die Verantwortung der Menschen in bezug auf das Gemeinwesen sei unterentwickelt.
Den Kosovaren ist es unverständlich, daß Albanien so verkommen ist. Seit zehn Jahren in eine Apartheidssituation gedrängt, hat sich bei ihnen eine tiefgehende Solidarität entwickelt. „Wir haben ein eigenes Gemeinwesen aufgebaut, eine eigene Wirtschaft, ein eigenes Schulsystem, die Leute haben sich gegenseitig unterstützt“, sagt Baton Goma, ehemals Lehrer an einer der Untergrundschulen in der Region von Djakova. Kosovo-Albaner seien quirlige Leute, hätten Sprachen gelernt, verfügten über Kontakte mit dem Ausland. Sie wünschten sich nichts mehr, als einen eigenen Staat aufzubauen. „Wir dürfen aber nicht vergessen, daß wir hier Aufnahme gefunden haben. Daß die Menschen und die Gesellschaft hier mit unserer Ankunft überfordert sind. Nur: Die große Liebe ist es nicht.“
Shkelzen Susuri wartet immer noch auf die Fahrerlaubnis. Doch im Polizeipräsidum kümmert sich niemand um ihn. „Die Autos der Vertriebenen sollen stillgelegt bleiben“, sagt Ylber Duraku, der Polizeipräsident. Man habe es hier in Kukes geschafft, insgesamt 450.000 Menschen durch den Ort zu schleusen, „ohne einen Mord, ohne eine Vergewaltigung, nur ein paar Diebstähle sind zu vermelden“. Könnten die „Gäste aus Kosovo“ mit ihren Autos herumfahren, wäre das Risiko für Zusammenstöße mit der einheimischen Bevölkerung größer. Es sei besser, wenn die Flüchtlinge in den Wohnungen oder den Flüchtlingslagern blieben.
„Die Vereinigung Albaniens ist ein langwieriger Prozeß“, erklärt der Bürgermeister. Großalbanische Träume paßten nicht in die Landschaft. Erst müsse Kosovo unabhängig werden, dann könne man weitersehen. Die Bevölkerungen verstünden sich trotz aller Unterschiede, denn seit Jahren hätten einige Albaner hier die traditionellen Kontakte zu den in Kosovo gelegenen Städten Prizren und Djakova wieder aufgenommen. „Kleinhandel gab es, die serbischen Behörden erschwerten jedoch den Grenzübertritt.“
Die Sprache sei ein Grund für den Brückenschlag. „Wir sprechen alle den gleichen Dialekt, deswegen wollen die Leute aus Prizren und Djakova nicht weg von hier in andere Regionen Albaniens.“ Unter dem Strich, so resümiert er, wirke sich nach der Rückkehr der Flüchtlinge in das Kosovo die Aufnahmebereitschaft für die Stadt positiv aus. Kukes sei für kurze Zeit zum Medienzentrum der Welt geworden und so bekannt, daß Hilfsorganisationen schon Projekte anböten, die der Verbesserung der Infrastruktur dienten. Mit den Vertriebenen und den Ausländern sei auch etwas Geld in die Stadt gekommen. Jetzt wolle er Investoren in die Stadt locken.
„Das sind Zukunftsträume.“ Nuhi Elezi, der Volkssänger, sitzt inmitten seiner Gäste, unter ihnen viele Soldaten der UÇK. „Für die albanische Gesellschaft bedeutet der Flüchtlingsstrom eine große Herausforderung.“ Trotz aller Geschäftemacherei habe sich die Gesellschaft in den letzten Monaten gewandelt. Erstmals hätten sich viele Menschen solidarisch verhalten, hätten Verantwortung gezeigt. „Es ist kein Nationalismus entstanden, aber Patriotismus, wir müssen das Land aufbauen, wir müssen vorwärtsgehen.“
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