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Die neue linke Lässigkeit

Sie wissen nicht, wer sie sind, das aber mit großer Verve: „Kanak Attack“ wollen 50 Jahre BRD aus ihrer Sicht erzählen und stiften Verwirrung überall dort, wo Multikulti-Gekuschel im Sterben liegt  ■   Von Alexander Müller

„Just be“, die Calvin-Klein-Werbung hat doch recht. So könnte das Ergebnis der ersten „Kanak Attak“-Veranstaltung im SO 36 vom Donnerstag abend lauten. Werbung muß nicht immer lügen, auch nicht die Eigenwerbung für diesen Event: „Gefährlich fremd“, klotzte es da graphisch gesampelt von jenem berüchtigten Spiegel-Titelblatt, das 1997 die Gewalt gegen Ausländer durch ausländische Gewalt erklären wollte und nun von den Kanak-Attak-Leuten zur offensiven Einladung, sich mit ihnen zu beschäftigen, umgemodelt wurde.

Wenn schon, denn schon und volles Rohr, so lautete das Versprechen dieser neuen dezentralen Basisbewegung junger Migranten. Negatives Selbstbewußtsein, ganz so wie es Feridun Zaimoglu, der Erfinder der Kanak-Coolness in seinen Büchern vorgemacht hat. Der entscheidende Trick besteht darin, sich selbst als Kanak zu bezeichnen, anstatt das immer nur von anderen zu hören zu bekommen. Ist man dann ein deutscher Nigger (HipHop-Agenda), eine militante Putzfrau (Feminimus-Programm) oder ein radikaler Lebensphilosoph (Kaffeehaus-Schiene)? Obwohl mit extra geschriebenem Manifest („Wir wenden uns schlicht gegen jeden und alles, was Menschen ausbeutet, unterdrückt und erniedrigt“) ausgestattet, wollten sich die Veranstalter nicht festlegen lassen, wer sie denn seien – schließlich begreifen sie sich als „Identitätsguerilla“, die überall da intervenieren möchte, wo Multikulti-Gekuschel im Sterben liegt. Im Sinne eines durchdachten Dilettantismus vermochten sie es, sogar unter der sich superaufgeklärt dünkenden Kreuzberger Mischung aus Uni-People, Kiez-Prankstern und Queer-Kämpfern, Verwirrung zu stiften. In Abhängmanier hockten die Aktivisten wild durcheinander schnatternd vor ihrem auf Bierzeltbänken plazierten Publikum und kochten dessen Stimmung hoch wie ein guter DJ. Pass the microphone, ganz in der alten Robert-Lemke-Schule: Wer wir sind, wurde nicht verraten.

Statt dessen zeigte man kurze Dokumentarfilme unterschiedlicher Qualität. „Kush“ als kitschiges Coming-out-Tanzmovie über schwul-lesbische Asiaten in England/Indien, dessen Regisseurin Prathiba Parmar anschließend wie nach einem Forumfilm auf der Berlinale höflich befragt wurde. Sichtbar knalliger war „Gülüzü“: Einleuchtend minimalistisch geschnittene Videosprengsel zur Beobachtung einer Putzfrau bei ihrem Tagesgeschäft plus Biographie aus dem Off. Für 6.000 Lira wurde sie aus der Türkei in die BRD an einen 15 Jahre alten Ehemann verkauft, den sie in der Hochzeitsnacht erstmalig erblickte, um sich von ihm „Ich wollte eine andere, die schöner ist als du“ sagen zu lassen. Heute ist der Mann tot und sie immer noch da, erst jetzt erkennend, daß sie hätte gehen können. Über die nichtanwesende Regisseurin Hartice Ayten hieß es, man wisse von ihr nur, daß sie in Duisburg wohne.

Damit auch das Publikum wußte, wo es sich befand, zogen zwei Conférencier-Schätzchen – die görig-streetwise Zaimoglu-Schwester Belhe und die süße Toptucke Honka als Berlins besserer Dr. Seltsam – ab und an von der Bühne durch den Saal, den ohrwurmigen Jingle des Abends zu schmettern: „Bin nicht schwarz noch weiß / weil ich's gar nicht weiß /und sowieso drauf scheiß' “. Oder man dropt zu Viert landschulheim-sketch–ar–tig Stichworte („Keine Eintrittskarte!“ „Gegen Dialog!“ „Eine Haltung!“) vom Blatt – für rasche drei Minuten, damit keiner gähnen muß.

Immerhin wollen die bundesweit in diversen Großstädten agierenden Kanak-Attak-Gruppen – darunter semiprominente Kunst- und Kopfarbeiter wie Mark Terkessidis, Feridun Zaimoglu, Nikola Duric, Murat G., Torch, Tobias Levin oder Elena Lange – im Herbst mit der großen „Kanak-HistoryRevue“ touren, um 50 Jahre BRD-Geschichte aus der „Kanaken“-Sicht zur Kenntnis zu bringen.

In Berlin gibt es zirka 30 Leute, die schon jetzt damit anfangen: in Kooperation mit dem SO 36 ab jetzt jeden letzten Donnerstag im Monat. Sozusagen als Folge des Erfolgs des regelmäßig dort ausverkauften „Salon Oriental“. Es soll Theater, Rap, Performances geben. Freestyle mit Selbsterfahrungsappeal und Klassenfrage revisited. Kanak Attak könnte man auch ganz schlicht interessierte Menschen nennen. Die Vorstellung, Pop hätte mit Politik zu tun, wird hier anstrengungslos eingelöst. Keine Belehrung und Bekehrung, sondern neue linke Lässigkeit. Eben weil Kanak Attak sich gegen die Frage nach Paß, Herkunft und Multikulti-Artigkeiten richtet, ist erstmal alles drin. Ich bin Kanak, du bist Kanak – also Mann, Frau, Migrant, deutsch, queer, klug, dumm oder auch nicht. Es ist wie die erste Schallplatte aufnehmen: Einfach da sein, einfach machen, damit die anderen sehen, was sie davon haben.

Pass the microphone ganz in der alten Robert-Lemke-Schule: Wer wir sind, wurde nicht verraten.

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