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Sie sollen sehen, daß es uns gibt

Rund 30.000 Arbeitslose aus ganz Europa demonstrieren in Köln. Die Gewerkschaften lassen sich nicht blicken, und auch deutsche Teilnehmer sind vergleichsweise rar  ■   Aus Köln Dorothea Hahn

Das Flugzeug mit der 120köpfigen griechischen Gewerkschaftsspitze an Bord ist noch gar nicht in Athen abgeflogen. Der Zug voller Sozialhilfeempfänger aus den Niederlanden wird seit Stunden auf einem Abstellgleis an der Grenze festgehalten. Und die Langzeitarbeitslosen aus Sevilla und Malaga kochen immer noch vor Wut , weil sie in Deutschland von keinem Gewerkschafter und von keinem Politiker der Regierungsparteien empfangen wurden.

Aber die Polizei ist bereits in Köln. Die 12.000 Frauen und Männer, die das Gipfelgeschehen in der Stadt in diesem Monat überwachen – EU-Gipfel am 3. und 4., G-8-Gipfel vom 18. bis 20. Juni, dazwischen Alternativgipfel und Demonstrationen – tragen komplette Kampfuniform. Dieser Samstag ist für sie Hauptkampftag. Arbeitslose aus ganz Europa haben sich zu einer Demonstration gegen Erwerbslosigkeit und für ein Mindesteinkommen angekündigt. Der „Thalys“ aus Paris spuckt tausend Demonstranten am Kölner Hauptbahnhof aus. In Frankreich konnten sie umsonst reisen. Für die Reststrecke mußten sie zahlen. In Köln haben Polizisten zur Begrüßung in ihren Rucksäcken gewühlt und die Mineralwasserflaschen herausgeholt. Jetzt läuft eine Gruppe Franzosen mit erhobener Faust durch ein dichtes zweireihiges Polizeispalier auf den Friesenplatz. „C‘est la lutte finale“, singen sie, nach der Melodie der „Internationale“.

„Die Top-Herren sollen sehen, daß es uns gibt“, erklärt Anne, ausgebildete Kindergärtnerin. Sie ist aus Finnland, „70 Kilometer von der russischen Grenze“, zu diesem Euromarsch gekommen. „Ich verlange ein Grundrecht auf Arbeit“, sagt Annick, Mitte 40, Teilzeitbeschäftigte aus Frankreich.

Rund 30.000 Menschen versammeln sich bei diesem zweiten Euromarsch. „Ich weiß nicht, ob wir viel bewegen werden“, meint Sara von der „Frente anti Maastricht“ aus Madrid, „auf jeden Fall spüren wir, daß wir nicht ganz allein sind.“

In Köln sind die Opfer der europäischen Beschäftigungspolitik unter sich. Die meisten Gewerkschaften sind ferngeblieben. Der DGB, von dem die Demonstranten Unterstützung erwartet hatten, glänzt durch Abwesenheit. „Die europäische Gewerkschaftsbewegung drückt sich vor der Verantwortung“, sagt Bernard aus Lille. „Wenn wir die Gewerkschaften hinter uns hätten, wäre es leichter“, seufzt Olivier von einer Arbeitsloseninitiative in der französischen Gewerkschaft CGT, „aber die Gewerkschaften haben Angst vor uns. Wir stellen mehr in Frage als Leute, die in Lohn und Brot stehen. Wir haben nichts zu verlieren.“ Für Els aus Amsterdam steht fest: „Die großen Gewerkschaften partizipieren an der Macht. Sie unterschreiben Abkommen, die zu Minijobs mit Minilöhnen führen. Deswegen sind sie nicht hier.“ Zwischen den Franzosen, bei denen die europäische Arbeitslosenbewegung vor zwei Jahren begann, den Italienern, die zu mehreren tausend angereist sind und den zahlreichen mittelgroßen Gruppen aus Europa stellen die Deutschen nicht einmal die Hälfte der Demonstranten.

„Es ist verdammt schwer, als Arbeitslose auf die Straße zu gehen“, versucht Karin vom Stuttgarter Arbeitslosenkomitee „Salz“ eine Erklärung. „Nirgendwo werden bessere Arbeitslosengelder gezahlt“, gibt Reinhold aus Bielefeld zu bedenken, der das deutsche Schweigen zur Arbeitslosigkeit „unheimlich“ findet. „Die Leute haben sich damit arrangiert.“

„Arbeitslosigkeit für alle“, ruft ein schwäbelnder Demonstrant den Polizisten entgegen, die in dicht geschlossenen Reihen, mit heruntergeklapptem Visier und vorgezogenem Schild den Dom sichern. „Wir sind Arbeitslose, keine Hooligans“, skandieren Demonstranten aus Lille Aber das rufen sie auf Französisch. Die Einsatzbeamten gucken böse. Sie verstehen nicht, was die Südwestfranzösin Marieline konstatiert: „Die deutschen ,Grünen‘ können nicht lächeln.“

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