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Beckenbodentraining oder Bodenkrieg?    ■ Von Karl Wegmann

Das passiert mir andauernd: Ich sitze beim Zahnarzt oder beim Friseur, und alle Zeitschriften sind schon weg – bis auf ein „Frauenmagazin“. Letzte Woche wieder: Leise pocht der Zahn, und ich mache einen Termin. Vier Frauen warten. Eine liest Spiegel, eine Stern, die nächste Geo und Nummer vier starrt ins ADAC-Magazin. Für mich bleibt Brigitte. Das hebt meine Laune nicht gerade. Aber gut – schau'n wir halt mal nach, was Frauenfreundin Brigitte zum Kosovo-Krieg sagt.

Das ganze Ding riecht wie ein orientalischer Puff. Das sind die Parfümproben im Blatt, die machen schwindelig, lassen aber meinen pochenden Zahn kurz innehalten. Dann kommen die harten Frauenthemen: Durchsichtige Handtaschen und Schuhe zum Beispiel, oder „Freizeit in Multicolor“. Irgendwie wird mir nicht ganz klar, was Reklame ist und was redaktioneller Beitrag. Ist „Ein gutes Abführmittel hilft dem Darm, sich selbst zu helfen“ jetzt ein Gesundheitstip oder Werbung? Wie steht's mit „Ein großer Busen kann doch ganz toll aussehen!“, „Der gehobene Landhausstil“ oder „Hygienische Wäsche ist ein Thema“? Jede zweite Seite ist dagegen sofort und eindeutig als Haarfärbemittel-Reklame zu erkennen. Dazwischen tummeln sich wertvolle Informationen („Während Ihrer Regel ist kein Tag wie der andere – an den ersten Tagen ist sie stärker, an den letzten schwächer“) und Geheimnisvolles. So entpuppt sich ein kleiner Artikel unter der Überschrift „Lippenblubbern und Zungerollen“ als eine Rezension. Titel des Buchs: „Das sanfte Bekkenbodentraining“. Äh?

Ach so, Männer haben gar keinen Beckenboden. Aber Bodentruppen haben wir, sollen wir die jetzt einsetzen oder was? Brigitte schweigt. Über Männer weiß sie natürlich auch was zu erzählen: „80 Prozent der deutschen Männer kümmern sich nie um Nachschub für den Kühlschrank“, beschwert sie sich, und weiter: „Nur Spanier (95 Prozent) und Holländer (81 Prozent) sind noch träger.“ Kein Wort darüber, daß Männer überhaupt keine Zeit zum Einkaufen haben, weil sie schon seit Monaten Bomben schmeißen müssen. Weiter geht's mit „Lila ist Spitze für den Sommer“ und „In Cornwall unterwegs“ – wohlgemerkt in Cornwall, nicht in Makedonien, in Albanien oder im Kososvo. In Cornwall gibt es die „Merry Maidens“, „im Tanz zu Stein erstarrte Jungfrauen“. Die sind doch viel spannender als Massenvergewaltigungen, Massenmord, Massenvertreibung. Dann ein Lichtblick. Elke! Elke Heidenreich schreibt hier eine Kolumne. Ah, ein Fettauge auf der dünnen Plapper-Klatsch-Hast-Du-schon gehört-Suppe!

Mal sehen. „Bettgeschichten“ steht über ihrem Aufsatz. Ich erfahre, daß Leonardo da Vinci nie länger als fünfzehn Minuten am Stück schlief, Albert Einstein dagegen volle zwölf Stunden. Dann wird sie philosophisch: „Das Leben richtet sich selten nach unseren Schlafbedürfnissen.“ Bravo, das können die Menschen in Belgrad sofort unterschreiben. „Und dann gibt es noch die allerschönsten Abende“, erzählt die Heidenreich weiter, „sich nach einem heißen Bad mit einem Glas Rotwein und dem richtigen Buch ins Bett kuscheln und die Welt draußen lassen ... herrlich.“ Ich bin verwirrt. Meine Zahnschmerzen sind weg. Dann werde ich aufgerufen. Hoffentlich bohrt der Doktor.

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