: CDU wünscht sich den Big Brother
■ Anhörung zur Videoüberwachung ergibt: egal ob eine Million Kameras in Großbritannien oder eine in Leipzig, der Effekt sind weniger Straftaten, aber Verdrängung an diesen Orten
Die Christdemokraten lassen sich nicht beirren. Obwohl Koalitionspartner SPD bereits ein eindeutiges „Nein“ dazu verkündet hat, obwohl sich gerade erst der sachsen-anhaltinische Datenschützer Kalk sehr besorgt über die zunehmende Überwachung des öffentlichen Raumes geäußert hat: die Union will die Videoüberwachung öffentlicher Plätze in Berlin durchsetzen. Auf einer Anhörung ließ sich die CDU deshalb die Anwendung bereits praktizierter Videoüberwachung schildern.
Mehr als eine Million öffentlicher und privater Kameras kontrollieren die BürgerInnen von Großbritanien. Ein Mensch, der durch die Londoner City streift, wird - wie Alan Hilmann, Polizeichef für den Citybereich Londons, gestern berichtete - auf etwa 300 Videobänder gebannt. Auch die Bilder privater Ladeninhaber gehen direkt an die Polizeizentrale. Und Firmen experimentieren bereits mit Systemen zur automatischen Gesichtserkennung.
In der Bundesrepublik ist eine solch weitgehende Überwachung noch Fiktion. Zwar haben bereits mehrere Länder die Möglichkeit der Videoüberwachung. Doch die Anwendung ist sehr umstritten. Zur CDU-Anhörung angereist war gestern auch der Leipziger Polizeipräsident Helmut Lunau. In Leipzig läuft seit Ende 1995 ein Pilotprojekt; der Bereich des Bahnhofes wird per Kamera observiert. Weitere Kameras sollen folgen. Und Helmut Luanu will noch mehr. „Da werden meine Augen weit, meine Ohren groß und mein Herz eines Polizeibeamten lüstern“ kommentierte er den Bericht des Londoner Kollegen.
Unterschiedliche Dimensionen, aber ein Ergebnis: Lunau betonte den abschreckenden Effekt und das gestiegene Sicherheitsempfinden der BürgerInnen. Unmittelbare Festnahmen gebe es dagegen eher selten, seit der Einführung waren es jeweil drei bis sieben pro Jahr. Außerdem habe sich „die kriminelle Szene jetzt in den Randbereichen der Stadt etabliert“. Ähnliches wußte auch Hillmann zu berichten. Zwar verzeichnet die City of London 30 Prozent weniger Straftaten, „allerdings“, so Hillman, „ist ein Teil davon in andere Gebiete verdrängt.
Entsprechend skeptisch beurteilte der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Eberhard Schönberg, das Ergebnis der Anhörung: „Die Kriminalität wird sich nicht zurückdrängen lassen, man kann nur bestimmte Orte sicherer machen.“ Angesichts dessen, daß die Große Koalition noch nicht einmal die Reform der Berliner Polizei finanzieren könne, ergebe die Kosten-Nutzen-Rechnung: „Das brennt uns nicht unter den Nägeln“. Barbara Junge
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