: Auf den Weltfrieden
■ E-Mail aus Belgrad: Brief der 24jährigen Andjela an das Jugendmagazin „X-mag“
Während in der ganzen Welt jetzt großer Optimismus herrscht, scheinen hier bei uns in Belgrad die neuesten Nachrichten eher darauf hinzudeuten, daß die große Qual andauert. Aber Nachrichten sind ja das Unverläßlichste und Widersprüchlichste überhaupt in dieser Zeit des großen Durcheinanders. Um ein Uhr heißt es, wir sind gerettet, um drei gelten wir als verdammt in alle Ewigkeit.
Wie all meine Belgrader Freunde haben mich die täglichen Strom- und Wasserausfälle total geschwächt und demoralisiert. Die politische Situation interessiert hier niemanden mehr - wir kämpfen nur ums Überleben. „Überleben“, das mag melodramatisch klingen, aber denkt mal an die langfristigen Folgen: Schlimm genug, daß ich im Moment meine Haare nicht mit warmem Wasser waschen kann, aber jetzt ist Juni. Was soll im Januar werden? Lebenswichtige Teile unseres Stromnetzes sind zerstört. Es wird Jahre dauern, bis alles wieder funktioniert - falls der Krieg tatsächlich aufhört. Und was, wenn nicht? Werden wir ins Mittelalter zurückgeworfen und müssen in unseren Höfen nach Wasser graben, im Park nach Feuerholz suchen?
Ich habe es nur im Radio gehört, aber es soll „Komplikationen“ bei der Umsetzung des Friedensplans geben. Wir müssen jetzt einfach abwarten und schauen, was der nächste Preis ist, den wir für diese neuen Komplikationen zahlen müssen. Aber sehen wir es mal optimistisch: Da in letzter Zeit immer das Unwahrscheinlichste wirklich wurde, könnte es ja diesmal vielleicht Frieden geben.
Ich würde mich immer noch als glücklich bezeichnen. Drei der wichtigsten Dinge im Leben, die die meisten Menschen hier verloren haben, gehören mir noch: Die Liebe, der Schlaf und ein Bett, in dem ich schlafen kann. Gut, Schlaf kann auch ein Fluch sein: Ich jedoch habe wunderbare Träume von kommenden Zeiten der Sorglosigkeit. Egal was ich träume, ich fühle mich immer total entspannt. Das ändert sich jedoch schnell nach dem Erwachen.
Ich hoffe sehr, daß ich in meinem nächsten Brief davon berichten werde, wie es war, als der Krieg aufhörte, und wie wir in einer Badewanne voll mit warmem Wasser beinah ertrunken wären, wie wir Ferien am Meer machten, die uns all die furchtbaren Erinnerungen vergessen ließen.
Ach, ich erinnere mich, wie wenig ich den Frieden früher zu schätzen wußte. Man kann nicht wertschätzen, was man besitzt, bis man es verloren hat. Wann immer jemand sein Glas auf den „Weltfrieden“ erhob, hielt ich das für eine politisch korrekte Worthülse. Es war eine harte Schule, die mich lehrte, daß ich mich damit geirrt habe. Die wichtigsten Dinge sind immer die, die man für selbstverständlich hält. Ich hoffe, daß ihr das nie selbst lernen müßt. Deshalb werde ich auf den Welfrieden trinken, bis ans Ende meiner Tage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen