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„Solche Visionen brauchen wir!“

■ Wahrheit-Reporter vor Ort: Die erste „Spacemesse“ der Berliner Luisengemeinde

Es gibt ein (weitgehend unbekanntes) Spiel, das geht so: Man versucht in möglichst alltäglichen Situationen (Straßencafé, Supermarkt, Gelöbnisse usw.) unter den Passanten Außerirdische zu entdecken, die sich mit Hilfe irgendeiner High-Tech-Mimikry unauffällig unters Volk gemischt haben, dem aufmerksamen Beobachter aber dennoch durch kleine Normabweichungen in Gangart, Feinmotorik oder Schuhwerk ihre extraterrestrische Herkunft verraten. Sie sind unter uns. Doch davon vielleicht ein andermal.

Ein weiteres Außerirdischenspiel heißt „Stell dir vor, jetzt würden hier Außerirdische landen ...“: Man stellt sich vor, welch eigenartigen Eindruck die ein oder andere (zumal spätkapitalistische) Unternehmung von uns Erdlingen wohl auf einen außerirdischen Expeditionstrupp machen würde.

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In den letzten zwei Bankreihen hocken an diesem trüben Junisonntag ein Dutzend Jungs mit frischgeduschten Mittelscheiteln; die übrigen Reihen füllen allerlei erwachsenere Menschenkinder mit fliehendem Kinn: bläßliche Männer mit Scharpingbärten und -brillen und Frauen mit Claudia-Nolte-Brillen und -Frisuren, wie sie gemeinhin nur auf den Parterrebalkonen von Mietskasernen oder in Fernsehtalkshows gesichtet werden; hie und da eine Mutti mit Kind; dort zwei Omas – und wir befinden uns offenbar mitten in der „ersten 'Spacemesse‘“ der evangelischen Luisenkirche im Berliner Westbezirk Charlottenburg. Im Mittelgang zwischen den wohl über hundert Kirchgängern hat sich das Kamerateam eines lokalen Fernsehsenders postiert, filmt den Mann mit Halbglatze und Bauchansatz vor dem Altar.

Der Mann trägt ein schwarzes Obi-Wan-Kenobi-T-Shirt und ist gerade mit schattenboxenartigem Ausdruckstanz beschäftigt. Elektronisch erzeugte Klangharmonien der Gemeindecombo „Willo & Friends“ hallen durchs Kirchenschiff, während zwei spärlich verkleidete Christenmenschen (Luke Skywalker? Darth Vader?) eine ätherische Inhaltsangabe von George Lucas' Kinoklassiker „Star Wars“ verlesen. Im Beipackzettel der Veranstaltung ist die Darbietung als „Project: In this house (Richard Smallwood) 'Luke Skywalker in Heaven‘ Meditation/Pantomime“ annonciert.

Gemeindepfarrer Bernd-Jürgen Hamann hat in der „Welt von Starwars“ nämlich „fast biblische Mythen entdeckt“ und will, so steht's ebenfalls im Programmzettel zur Spacemesse, die „Gedankenwelt“ von „Starwars und den Folgeserien nicht der fragwürdigen Szene der Esoteriker und ihrem Dogma vom positiven Denken überlassen.“ Weswegen es an diesem trüben Sonntagmorgen – „frei nach dem Motto: Beam me up, Jesus!“ – ebenfalls zu allerhand fragwürdigen Szenen kommt.

Wobei damit gar nicht Herrn Smallwoods Tai-Chi-Meditation mit imaginiertem Strahlenschwert gemeint sein soll, nicht der mit behäbigem Technobeat unterlegte „Haa Lee Luu Jaa Halelu Jahale Luuja“-Kanon oder die gerappten Psalmodien von Wilfried „Willo“ Kälberer, ja nicht einmal Pfarrer Hamanns Predigt zum Thema „Glaubenszuversicht versus Vergeblichkeitsbewußtsein o. ä.“ (Und die begann immerhin mit den Worten „Liebe Freunde, es war einmal vor langer, langer Zeit, da lebten irgendo im Universum Monster und andere Lebewesen in multikultureller Eintracht friedlich beieinander ...“ und endete in eigenwilligen Phantasmen eines bibellesenden Luke Skywalker, einer kirchenorgelspielenden Prinzessin Leia, orgastischen Tänzern „mit Feuerflammen über den Häuptern“ und dem Resümee: „Solche Visionen brauchen wir!“) Doch ist derlei Menschenfangmumpitz kaum der Rede wert.

Nein, erst als der „Star Wars“-Programmpart unvermittelt in eine ganz gewöhnliche Liturgie mündete, runzelte der außerirdische Beobachter die Stirnen. Und als die Luisengemeinde schließlich aus den Sitzreihen flockte, um sich fürs gemeinsame Fladenbrotbrechen und Meßweintrinken in drei heiter-befangenen Ringelpiezkreisen zu formieren, dachte der Besucher: „Padauz, das ist ja wie ... wie billigster Science-fiction!“ Dann wischte er sich eine Träne der Rührung aus dem Auge und schlurfte zum Ausgang.

„Bericht vom 6. Juni 0001999: 13 Uhr Ortszeit. Ein kleiner Junge hat während der Predigt aus dem Programmzettel ein Raumschiff gefaltet. Bericht Ende“, nuschelte er noch, als er hinter der nächstgelegenen Häuserecke verschwand.

Christoph Schultheis

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