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Große Koalition – in Berlin kein Grund zum Feiern

■ Was in Bremen – allen Bedenken zum Trotz – als Optimallösung gefeiert wird, lähmt in Berlin jegliche politische Bewegung. Wahlprognosen sprechen für Fortsetzung derKoalition

Bremen feiert, und Berlin trägt Trauer. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ist in der Hansestadt eine Große Koalition sogar noch gestärkt aus Wahlen hervorgegangen. In der Hauptstadt dagegen regiert seit nunmehr bald neun Jahren eine Große Koalition. Und neun Monate vor der Wahl zum Landesparlament hat diese Koalition jede politische Kultur in der Hauptstadt zum Erliegen gebracht. Dieser Koalition gibt niemand mehr eine politische Zukunft.

Die Grünen setzen hier auf einen rot-grünen Wechsel, die PDS bietet hierfür kritische Unterstützung an, und die SPD hat einen Spitzenkandidaten bestimmt, der als Rot-Grün-Macher angetreten war. Zwar ist es um die rot-grünen Wunschträume der SPD angesichts katastrophaler Prognosen still geworden, und die CDU, die den Regierenden Bürgermeister stellt, hält mangels Alternative auch an der Großen Koalition fest. Doch von Wollen keine Rede.

„Das Ergebnis beflügelt“, ließ gestern SPD-Spitzenkandidat Walter Momper wissen. Die Bremer SPD-Prozente bedeuteten einen Aufwind für die SPD insgesamt wie für die Berliner GenossInnen, die laut Umfrage auf 25 Prozent abgesackt sind. Für die CDU (36 Prozent) beurteilte deren Generalsekretär Volker Liepelt den Wahlausgang immerhin als ein „Spitzenergebnis“, das den Bürgermeister einer Großen Koalition bestätigt habe.

Als Bestätigung einer Großen Koalition an sich und damit als übertragbar auf die Hauptstadt indes wollte das Bremer Ergebnis in Berlin kein Politiker und keine Politikerin gewertet wissen. „Hier sind die Voraussetzungen ungleichlich schwieriger“, betonte Momper gestern im Interview mit dem Berliner Info-Radio. In Bremen herrsche Harmonie zwischen SPD und CDU, man verfolge gemeinsam den Kurs den Haushaltskonsolidierung. „In Berlin ist die Große Koalition denkbar schlecht bewertet, und das aus gutem Grund“, so Momper. Die CDU trage hier den Kurs der Privatisierung und Konsolidierung nicht mit.

In dieselbe Kerbe schlägt Renate Künast, Spitzenkandidatin der Grünen. „In Bremen erscheint die Große Koalition als positive Notgemeinschaft“, so Künast. „In Berlin sind dagegen die Gemeinsamkeiten aufgebraucht. Jeden zweiten Tag beschimpfen die sich gegenseitig wie Flegel.“ Insbesondere die Privatisierung sieht Künast als Streitpunkt. „In der Finanzpolitik stimmen CDU und SPD gemeinsam ab. Danach distanziert sich die CDU wieder, und CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky, der Banker, tritt im Gewand des Arbeiterführers auf“.

Tatsächlich lassen die beiden Regierungsparteien kaum eine Gelegenheit aus, sich gegenseitig zu brüskieren. Sei es die CDU im Blockieren der ungebremsten Privatisierungspolitik der SPD-Finanzsenatorin. Gemeinsam beschloß man etwa den Verkauf der landeseigenen Wasserbetriebe, erst nach Monaten der Verzögerung durch die CDU wird jetzt das umstrittene Projekt durchgezogen. Auch die Aufstellung der Landeshaushalte gestaltet sich jedesmal aufs neue wie die Essensausgabe in einer Großfamilie. Die SPD sägt dafür kräftig am Stuhl des Innensenators, den die CDU stellt.

Dennoch ist eine Fortsetzung der Großen Koalition im Herbst nicht ausgeschlossen. Schon seit Monaten bringen Umfragen eine Botschaft: Rot-Grün hat keine Mehrheit. In der SPD gilt als sicher, daß man im Fall des Falles die Große Koalition fortsetzt. Die CDU hat ohnehin kaum eine Alternative, da der Wiedereinzug der FDP ins Parlament als sehr unsicher gilt. Und den Grünen könnte dank Kosovo-Krieg auch im milieustarken Berlin noch ein Absturz drohen. „Unsere WählerInnen sind zu Hause geblieben“, resümiert der grüne Landessprecher Andreas Schulze. Doch man hoffe, bis zum Oktober wieder landespolitische Themen setzen zu können. Und Künast meint: „Es bedarf noch einiges an Kommunikationsarbeit.“ Barbara Junge

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