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Blut und Design

■ Im Yuppiedistrikt zwischen Börse und Docklands ist so ein Vampir ohnehin nichts Besonderes: „Die Weisheit der Krokodile“

Gary Oldman als „Bram Stoker's Dracula“ mit blaugetönter John-Lennon-Brille im Swinging London der 1890er – das waren Zeiten, die dem eigentlich doch recht elenden Vampirdasein einen kräftigen Imageschub versprachen. Heute, nur hundert Jahre später, ist es vorbei mit dem Dandytraum. Der Hongkong-Filmer Po-Chih Leong katapultiert den Mythos ins nächste Jahrtausend. Zwar führt der Weg der Untoten noch immer über die Karpaten direkt ins Herz Albions, doch wie sieht es da jetzt aus!

Die vollverspiegelte Fratze des Neoliberalismus, das aseptische Lebenswerk der Obervampirin Thatcher, hat dem schönen Schwulst den Schneid abgekauft oder, um im schiefen Bild zu bleiben, den Zahn gezogen. Kein Raum für Extravaganz, statt dessen polizeilich kontrollierte Anonymität. Im Yuppiedistrict zwischen Börse und Docklands ist so ein Vampir ohnehin kaum mehr etwas Besonderes. Ob also im Spukschloß oder im Dreizimmerappartement: Die Tristesse des einsamen Jägers hat ihn eingeholt.

Daß unser armer Vampir wie alles Böse aus dem tiefen Osten stammt – von dieser Vorlage kommt eben keiner los –, ist eigentlich Nebensache. Von seinem verdächtigen Namen abgesehen ist Steven Grlscz (Jude Law) so geschichtslos wie die 90er – er sieht nur besser aus. Wie er zu seinem Schicksal kam, interessiert nicht. Wir dürfen also hineinlesen: Er ist eine Chiffre des modernen Menschen. Ohne Ursprung, ohne Ziel, doch immer auf der Jagd nach Gefühlen, nach Liebe, nach Blut.

All das kriegt er, nur zum Teil freiwillig, von jungen Frauen. Da er weniger von deren Blut als den darin enthaltenen Gefühlen lebt, ist er verdammt zu ewiger Balz. Erst im Liebesrausch lohnt es sich zuzubeißen, um sich mit dem Blut des Opfers dessen beherrschende Emotion einzuverleiben. Kristallisierte Essenzen davon ordnet Steven säuberlich in einem Schächtelchen an – und gibt ihnen Namen. Wenn schon nicht die wahre Liebe dabei ist, dann doch wenigstens „Verzweiflung“, das nächste Mal „Enttäuschung“. Mehr war von einer Selbstmordkandidatin vermutlich nicht zu holen.

Das Ende naht, als sich Steven wirklich verliebt und zwischen seinem Leben und dem der von Hal Hartleys Muse Elina Löwensohn verkörperten Anne wählen muß. Daß sich Po-Chih Leong so seine Gedanken gemacht hat, wie dem Genre Neues abzugewinnen sei, daß „Die Weisheit der Krokodile“ wie jeder gute Vampirfilm alles über die Liebe zu wissen glaubt – geschenkt. Fassade, wie alles andere. Denn hier geht es, wie damit schon wiederholt angedeutet, um Architektur. Eine wahnhafte Eleganz, ein exquisites Design wohnt diesem Film inne. Das gilt nicht nur für die Feng-Shui-Hölle, in der Steven seinen Damenbesuch empfängt, mit ihren sorgsam drapierten Vorhängen und dem erlesenen Nippes. Nicht nur für die kalte, mattglänzende Außenwelt, in der ihm die Polizei nachstellt.

Das perfekte Arrangement von Licht, Raum und Objekt macht auch vor der steinernen Oberfläche von Jude Laws Gesicht nicht halt, wenn er die silberne Plane, in der er sein nächstes Opfer nach dem Akt hygienisch verpacken wird, in aller Ruhe unter dem Laken seines Futons plaziert. Raum zum Spiel bleibt da wenig; aber es kommt zu Momenten echten Grusels, wie sie nur maßlose Stilisierung zuwege bringt. Ein schauriger, zeitgemäßer Genuß für Ästheten. Ein Debakel für die Liebe.

Seit „Die Weisheit der Krokodile“ lustwandle ich, ganz moderner Vampir, mit Vorliebe am Potsdamer Platz. Und rauche dabei, mit diabolischem Grinsen, die mattsilberne Neuedition einer englischen Traditionsmarke. Philipp Bühler

„Die Weisheit der Krokodile“, Regie: Po-Chih Leong. Mit Jude Law, Elina Löwensohn u. a., GB 1998, 98 Min.

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