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■ NebenkriegsschauplätzePalästinensische Schnäppchen-Heirat

Das Leid der Kosovo-Flüchtlinge beschäftigt viele Palästinenser, vor allem das Schicksal der Flüchtlingsfrauen. Zwar hat die palästinensische Autonomiebehörde bislang keine Balkan-Flüchtlinge aufgenommen – sie könnte das auch nicht ohne die Zustimmung Israels – das Interesse ist dennoch groß. Jeden Tag rufen Dutzende von heiratswilligen Männern beim Direktorat für Zivilangelegenheiten des palästinensischen Religionsministeriums in Ramallah an. Sie erkundigen sich, unter welchen Bedingungen sie Flüchtlingsfrauen aus dem Kosovo heiraten könnten.

„Es ist völlig absurd“, klagt Scheich Mohammed Nafe'i, Leiter der Behörde des Waqf-Religionsministeriums. „Kaum ein Tag vergeht ohne diese Anrufe.“ Seine Mitarbeiter sprechen von 20 bis 30 derartigen Anfragen pro Tag im Schnitt. Viele Anrufer beschreiben haarklein, wie die Frau ihres Herzens aussehen soll. „Alter, Haarfarbe, Hautfarbe, Größe, sie haben genaue Vorstellungen“.

Hinter den zahlreichen Anrufen steckt in erster Linie das Problem der in die Höhe geschossenen Mitgifterwartungen palästinensischer Eltern von Töchtern aus gutem Hause. Je besser die Herkunft, desto höher der Preis. „Die früher erbetene symbolische Goldmünze zahlt heute keiner mehr“, sagt ein palästinensischer Journalist und Vater einer Tochter. „Heute gehen die Forderungen hoch bis zum komplett eingerichteten Haus.“

Der Autonomieprozeß und die Rückkehr reicher Auslandspalästinenser haben in der traditionsgebundenen palästinensischen Gesellschaft vieles aus dem Gleichgewicht gebracht. So sehr, daß sich die weniger vermögenden Palästinenser-Junggesellen ernsthaft zu fragen beginnen, ob sie sich überhaupt noch jemals eine Heirat werden leisten können. Die Kosovo-Flüchtlingsfrauen werden offenbar als Rettung in letzter Not angesehen. Bisher gibt es nur Gerüchte, doch diese verbreiten sich rasend schnell unter Ramallahs Junggesellen. Mancher will Preise kennen, mancher Wege und Möglichkeiten der „Auswahl“ der Frauen vor Ort in den Flüchtlingslagern. Doch bislang ist noch keine einzige Flüchtlingsfrau in Ramallah gesichtet worden. Emad el Derimly, dpa

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