■ H.G. Hollein: Hart am Jenseits
Die Frau, mit der ich lebe, blüht im Urlaub auf. Ich nicht. Schon beim Aufwachen im fremden Apartmentbett tut sich ein endloses Loch auf, in dessen Tiefe einzig die Sinnfrage lauert: „Was soll ich hier eigentlich?“ Für die Gefährtin ist die Antwort einfach: „Geh Croissants holen.“ Und so mache ich mich dann auf, gemächlich und von keinem vitaleren Interesse angetrieben als dem endlosen Kreislauf rentnertypischer Gedanken, die alle nur lauten: „Wie fülle ich den Tag?“ Die Zeit, das immerhin ist tröstlich, vergeht von selbst. Nur ist, was ich in ihrem und des Tages Verlauf beobachte, mitnichten dazu angetan, mich aus diesem mentalen Wartesaal des Todes zu entführen. Am Strand geht es so munter zu wie in einer altägyptischen Leichenhalle. Hunderte von Jenseitssüchtigen liegen bereit, sich im Vorgriff auf die Freuden der Ewigkeit mit mehr oder weniger balsamischen Ölen haltbar machen zu lassen. An einigen – offenbar die Vergessenen oder Verdammten – zeigen sich allerdings an den zu Pergament verschrumpelten Hautfetzen bereits deutliche Spuren der Überlagerung. Auch die Folgen der übermäßigen Aufnahme ungewohnter Nahrung in Gestalt gasgeblähter Bäuche evoziert beiläufig das Bild eines aufgelassenen Schlachtfeldes. Mit fortschreitender Urlaubsdauer geht dann auch noch das letzte bißchen Zeitgefühl verloren. Die Frage „den wievielten haben wir heute eigentlich?“ wird als Anzeichen größtmöglichen „Abschaltens“ hymnisch begrüßt, anstatt als das genommen zu werden, was sie ist. Das Alarmzeichen für präsenile Demenz nämlich. Mit den Wochen stellt man dann auch noch fest, daß ob des Klimas oder der körperlichen Unterforderung Haare, Fuß- und Fingernägel sprießen, als sei man frisch verstorben. Das soll nun also die schönste Zeit des Jahres sein? Einer muß es mal aussprechen, und wenn ich dieser eine sein soll, nun, so sei es hiermit gesagt: Urlaub ist wie Grab.
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