: Pöbeln gibt Abzug in der B-Note
■ Streiten mit Schiedsrichter: 52 Hamburger SchülerInnen traffen sich zum Wettbewerb „Jugend debattiert“
An ihren Händen muß Mareike noch arbeiten. Das Pulen an der Nagelhaut, die fahrigen Gesten – „richtig gleichgültig wirkt das teilweise“, schilt der Mann von der Jury. Mareike nickt; ihr Gesicht nimmt die Farbe der pastellrosa Strickjacke an. Noch dunkler wird es, als ein zweiter Schiedsrichter betont, wie „außerordentlich präzise“ die 16jährige „das Problem dargestellt“ habe und wie „schön“ sie auf die anderen Jugendlichen eingegangen sei, mit denen sie über die Einführung eines Zentralabiturs diskutiert hat. Mit zwölf Punkten in der A- und acht in der B-Note geht Mareike vom Tisch.
Ob das reicht, um unter die besten 30 StreiterInnen zu kommen und zum Finale des Wettbewerbs „Jugend debattiert“ ins Rathaus geladen zu werden? „Weiß nich'“, sagt Mareike, „ist auch nicht so wichtig“. Überwindung habe schon die erste Runde des Turniers gekostet, die am Sonnabend im Eimsbüttler Kaifu-Gymnasium ausgetragen wurde: „Meine Mutter hat mich ein bißchen überredet.“ Und so sitzt die Zehntkläßlerin gemeinsam mit 51 anderen SchülerInnen an Vierertischen und streitet – unter den Augen einer Jury aus LehrerInnen und PolitikerInnen.
Besonders die Bürgerschaftsabgeordneten unter den SchiedsrichterInnen sind beeindruckt von der jugendlichen Streitkultur. „Die Bereitschaft, aufeinander einzugehen, ist sehr groß“, staunt GALierin Christa Goetsch. Tatsächlich hätten es einige Hamburger ParlamentarierInnen wohl nicht in die zweite Runde des Streitturniers geschafft: Sie wären an der B-Note gescheitert, die für geduldiges Zuhören, gutes Betragen und Einhalten des Zeitlimits vergeben wird.
Eine Eieruhr auf dem Tisch der Jury verkündet pünktlich nach 20 Minuten das Ende der Diskussionsrunde. Dann muß alles gesagt sein zur doppelten Staatsbürgerschaft, zur Drogenpolitik oder zum Mühlenberger Loch. Gerade bei letzterem Thema ist den meisten SchülerInnen die Redezeit zu lang. „Davon habe ich keine Ahnung“, bekennt einer, als die Jury ihm Schweigsamkeit vorwirft. „Ich finde, wir sollten lieber die große Politik diskutieren“, begründet eine Elftkläßlerin ihr Desinteresse an „solchen ökologischen Hamburgensien“.
Tapfer versucht Mirja, einen Standpunkt zu der Airbus-Standortfrage zu vertreten. „Wenn ich nun nicht dieses Riesen-Flugzeug baue“, erklärt sie und breitet die Arme über dem Kopf aus, „nicht diesen riesigen Vogel, sondern einen kleineren – dann hätte ich trotzdem Arbeitsplätze geschaffen“. Die anderen drei Streitenden am Tisch nicken beeindruckt; so richtig dagegenhalten mag niemand. Die Jugendlichen könnten bissiger sein, findet Ute Pape, die als Präsidentin der Bürgerschaft regelmäßig über Ordnung und Gesprächskultur im Parlament wacht: „Wir haben einigen gleich empfohlen, aggressiver und pointierter zu diskutieren.“
Mirja und 31 andere SchülerInnen dürfen das demnächst bei einem Rhetorik-Kursus lernen. Sie wurden für das Streit-Finale im Juli auserkoren; das Sprechseminar ist Preis und Vorbereitung zugleich. Mareike, die es nicht geschafft hat, hat als Trostpreis einen Essensgutschein in der Tasche, als sie über den Schulhof zum Bus geht. „Annette ist eine Schlampe“ steht mit Kreide quer über den Platz geschrieben. Das hätte Punktabzug gegeben. Judith Weber
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