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Brüche im Fluß

■ Deconstructing Libeskind: Sasha Waltz und Gäste tanzten im Jüdischen Museum

Eine aufregendere Bühne als das Jüdische Museum läßt sich wohl kaum denken für einen Dialog zwischen Architektur und Tanz. Mit 17 Tänzerinnen und Tänzern hauchte Sasha Waltz der beunruhigenden Architektur des leeren Neubaus ein Leben ein, als wären die Wechsel zwischen Verengung und Erweiterung, von labyrinthischen Passagen zu offenen Flächen eigens für sie erfunden.

Die Diskontinuität, der absichtsvolle Bruch und die Vermeidung hierarchischer Raumordnungen: Sie gehören als strukturbildende Elemente ebenso zur Architektur der Dekonstruktivisten wie zur Tanzsprache von Sasha Waltz. Die betongewordenen Metaphern des Architekten Daniel Libeskind schienen für wenige Stunden wieder aus Fleisch und Blut. Sechs der Tänzer arbeiten schon lange mit Sasha Waltz zusammen, die für den Museumsabend das Konzept und die Regie übernommen hat, elf der Akteure sind für diese Improvisationen mit dem Raum dazugekommen.

Wie zu schnell geschnittene Filmbilder blitzten hinter einer schrägen Rampe Arme, Schultern, Köpfe, Beine auf. Schmale Durchlässe wurden mit Schultern und der Spannweite der Hände vermessen, laute Schritte umrissen den Raum der Voids, die das Gebäudeband unterbrechen. Die Tänzer besetzten den Ort nicht, sondern lösten ihn auf. Ihr Rundgang unterbreitete ebenso wie die akustische Installation von Hans Peter Kuhn viele Vorschläge, sich in diesen dramatischen Innenräumen zu orientieren. Die Dynamiken, die sie aufspürten, schienen wie ein Echo auf das Geflecht von Linien und Kräften, die in diesem Gebäude zusammenstoßen. Auf die symbolischen Schnitte in die Architektur, die die Brüche der Geschichte und den Verlust des nicht mehr zu Rekonstruierenden markieren, bezogen sich die Tänzer mit leisen und behutsamen Bildern. In einem der Voids, den man unterirdisch betritt, kamen aus der uneinsehbaren Tiefe des Raums Figuren leise wie Schatten und Geister hervor und zogen durch das Publikum davon. Die letzten von ihnen, fünf Frauen, rutschten auf Knien vorwärts, mit langen Ketten klingend, die, halb Schmuck, halb Fessel, bis auf den Boden hingen. Flüchtig durchströmten diese beunruhigenden Bilder untergründig den Ort.

In der Schlucht der großen Treppe, die zwischen 25 Meter hohen Wänden über drei Stockwerke aufwärtsläuft, spielte eine der letzten Szenen. Dort, wo die Stufen vor einer Wand enden und es kein Weiter gibt, drängte sich das Publikum und schaute hinunter auf die gestaffelten Ebenen der Treppenabsätze: Eine Perspektive, die sehr an den expressionistischen Film erinnert. Das wimmelnde Durcheinander auf den verschiedenen Höhen schien erst so komplex, als blicke man in eine ganze Stadt. Nach und nach schälten sich Paare heraus, die sich verloren und wiederfanden. Das alles dauerte nur Minuten und reichte doch, um Bilder, Geschichten und Biographien aus den zwanziger Jahren heraufzubeschwören, die mit Abschied und Exil endeten.

Mit diesem Tanz im Museum begann das Programm „Spiel-Räume. Die Stadt als Bühne“, das die Berliner Festspiele auf Plätzen, in Tunneln oder an Orten veranstalten, die nur selten öffentlich zugänglich sind wie der Neubau des Jüdischen Museums, das erst im Oktober 2000 eröffnet wird.

Man kann nur hoffen, daß die Museumsleitung diese unglaublich schöne Liebeserklärung an ihr Haus wiederholen läßt.

Katrin Bettina Müller

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