: Ein „Pieps-Paragraph“, ein X und ein O
■ Auf dem Kölner Medienforum diskutierten Jugendschützer und Medienwächter über „On Air“-Warnhinweise für Jugendliche
Die medialen Revolutionen bringen auch manches zurück: die Ansagerin zum Beispiel, die einen strengen Blick in die Kamera schickt und sagt: „Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, wir möchten Sie darauf hinweisen, daß die nun folgende Sendung geeignet ist, das körperliche, seelische oder geistige Wohl von Jugendlichen Zuschauern zu beeinträchtigen.“ Das wäre noch immer die beste Form, die neuen europäischen Jugendschutzbestimmungen umzusetzen, meint NDR-Justitiar Werner Hahn. Aber auch ein Piepston würde reichen.
Demnächst muß auch in Deutschland die europäische Fernsehrichtline Anwendung finden. Und so denkt man in allen Sendern über die Alternativen „Akustische Zeichen“ oder „optische Mittel während der gesamten Sendung“ nach. Österreichs ORF blendet neben seinem Logo ein X (nicht für Kinder) oder ein O (nur für Erwachsene) ein. Damit man gleich sehen kann, wo scharfe Sachen laufen. Den „Piepsparagraphen“ (Hahn) hält die Medienpädagogin Helga Theunert vom Münchner Institut Jugend-Film-Fernsehen denn auch für „Unsinn“. Und Bayerns Chefmedienkontrolleur Wolf-Dieter Ring sagt über die Regelung: „Niemand wollte sie, aber sie gilt.“
In Ländern, die über keinen so weitgehenden Jugendschutz verfügen, mag die Verordnung durchaus Sinn machen. In Deutschland ist der gesetzliche Jugendschutz aber das letzte Feld, auf dem die Medienkonzerne nennenswert reguliert sind. Schon deshalb kümmern sich die Regulierer so inbrünstig um das Wohl der Jugend.
Dabei sind die wichtigsten Bestimmungen längst praxisfern: Filme ab 16 gibt's erst nach 22 Uhr, Filme ab 18 dürfen erst ab 23 Uhr gezeigt werden. Derlei finden selbst Medienpädagogen wie Helga Theunert nicht mehr zeitgemäß, da Video und das eigene TV-Geräte solch mechanistischen Schutz ins Leere laufen lassen. Solange als Alternative nur Freigabe drohe, wird diese Frage aber nicht öffentlich diskutiert.
Gleichzeitig ist immer schwerer zu bestimmen, wovor eigentlich die Jugend geschützt werden soll. Die große Debatte über Talkshows aus dem letzten Jahr legte nahe, daß sich vor allem Menschenbild und Realitätsfiktion in Talk- und Boulevardsendungen fatal auf Kinder und Jugendliche wirken. Doch bei den „Grenzwertthemen im Bereich Persönlichkeitsrecht und Menschenwürde“ hat sich durch den Aufschrei der Jugendschützer wenig getan, wie Ursula Adelt vom Privatfunkverband VPRT zerknirscht einräumte. Menschenwürde kann der Gesetzgeber kaum mit Jugendschutzparagraphen gebieten. Statt dessen müßten immer wieder gerade noch Erlaubtes und nicht mehr Erlaubtes neu definiert werden. So kommt es dann zu dem X in der Bildschirmecke. Ein neues Symbol für alte Hilflosigkeit. Lutz Meier
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