:
Ein Frauenausflug ■ Von Wiglaf Droste
In Braunschweig stiegen sie zu. Sie waren zu zehnt; zehn Frauen auf einen Schlag, gutgelaunt und lärmig. Es war Montag vormittag; sie hatten ein langes Wochenende hinter sich: kegeln, also in erster Linie trinken. Davon waren sie noch immer ganz aufgekratzt. Sie quietschten herum, zappelten und gnihieten. Die jüngste von ihnen mochte Ende dreißig sein, die älteste Mitte fünfzig. Sie waren ausgewachsene Mädchen, eher prall als mager; einige von ihnen waren richtige Küben, und zwei hatten Stimmen, die problemlos mit dem rauchigen Sound Lee Marvins konkurrieren konnten.
Ich hatte geschlafen und irgend etwas Heftiges geträumt; das Gegnickere der Frauen war zunächst in den Traum eingeflossen und hatte mich dann geweckt. Der Zug ruckte wieder an, ich rieb mir die Augen, die Frauen plazierten sich langsam und schnatterten durcheinander, fröhlich und sorglos. Sie alle trugen rote Sweatshirts, auf denen Fire Girls stand – sie waren Frauen von Feuerwehrmännern. Daß sie aus Berlin stammten, war ebensowenig zu überhören wie ihre Entschlossenheit, noch ein paar schöne Stunden zu verbringen.
Zu diesem Zweck zückten sie Flaschen aus den Taschen, Kleiner Feigling, klopften die Flachmänner auf die Tische, öffneten sie und tranken sie ex. Sie hatten einen Zug am Leibe, der nach Übung aussah. Eine Pappe Negerküsse wurde herumgereicht und eine Flasche Sekt gekillt, rituell: „Wie kommen wir zusammen?“ fragte eine der Frauen. „Strahlenförmig!“ antworteten die anderen im Chor. „Wann gehen wir auseinander?“ fragte die Vorsprecherin; „Niemals!“ lautete die Antwort. „Und warum nicht?“ fragte die Vorsprecherin abermals. Die Antwort ließ an Überraschung nichts zu wünschen übrig: „Weil wir so super super sexy sind!“ schallte es neunkehlig, und obwohl der Augenschein das nicht bestätigen wollte, war es akustisch doch voll überzeugend.
Dann wurde wieder wüst getrunken; klopf klopf klopf wurden die Flachmänner weggehauen, Sekt kreiste simultan in mehreren Pullen. Viagrawitze wurden erzählt, eine Mischung aus Alkohol und Untenrum schwappte durchs Abteil und fand ein Ventil im Gesang: „Lieschen, Lieschen, Lieschen / Komm doch mal ein bißchen, bißchen / In den Ke-he-ller / Dann geht es schne-he-ller / So wie früher, früher, früher / Ohne Gummiüberzieher / Ohne Hemd und ohne Höschen / Einfach zack-zack-zack-zack-zack!“
Warm und brühig war's, dumpf auch, ein bißchen wie bei Bierzeltmännern, nur leiser und gar nicht bösartig; man konnte wegdösen in all dem Lärm – Gefahr drohte hier keine. Nur manchmal, wenn man zu lange in eins der Gesichter sah, war es ein bißchen traurig.
Kurz vor Spandau war der Ausflug vorbei. Noch einmal wurde „Lieschen“ angestimmt, aber es fehlte schon der Schwung. Die Frauen waren wieder zu Hause. Sie wurden stiekum, einzeln und klein – klein genug, um in dem Leben, das sie erwartete, wieder verschwinden zu können, reibungslos. „Holt dein Mann dich ab?“ fragte eine, „Süß sind sie ja, die Kleinen“, sagte eine andere.
Dann waren sie still. Aber jedesmal, wenn ich eine grün wählende Lehrerin mit Brotkastenvolvo unterm Ökohintern sehe, singe ich das Lied der Fire Girls. Laut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen