:
Im deutschen Wald ■ Von Wiglaf Droste
Der Landstrich zwischen Wanderlust und Vandalismus heißt Deutschland. Und wo das Deutsche am tiefsten ist, da bin ich gewesen – im deutschen Wald. Im Dickicht. Dumpf roch es und modrig, weich federte der Boden. Ich stellte fest: Es ist die Zeit der Stinkmorcheln. Nicht nur im übertragenen Sinn – ganz in echt hatten sie sich im Wald aufgepflanzt. Es waren Dutzende, der Wald war voll von ihnen. Weiß leuchteten sie durch die Bäume, schimmerten hell im dämmrigen Wald, eine Versammlung von Erektionen. Neben einigen von ihnen lagen, im Waldboden noch halb verborgen, die sogenannten Hexeneier: mit Gallertmasse gefüllte pralle Hoden. Andere lungerten schlaff und matt im Moos herum, Penisse in der Refraktärphase quasi, manche trugen am Kopf etwas, das wie ein gewaltiges Noppenkondom aussah. Und alle stanken sie vor sich hin, streng, penetrant, ungelüftet, germanisch.
Durch diesen Alptraum mußte ich hindurch. James F. Coopers Waldläufer fiel mir ein, aber einer der Pimmelpilze rief: „Waldläufer? Das ist doch eine Figur aus Peter Handkes neuem Stück. Das hoffentlich durchfällt! Hoho!“ Ich erkannte Hellmuth Karasek und machte, daß ich wegkam.
„Handke ist ein Antiamerikaner!“ kam es jetzt von der Seite, gleichermaßen lau und zischelnd; so erfuhr ich, daß es auch Morchelfrauen gibt. Doch der Gatte, den sie hatte, sekundierte: „Anti-amerikanismus ist immer fast auch schon Antisemitismus!“ Oh, war das finster im deutschen Wald; weg wollte ich, nur weg. „Du mußt lernen, die Bombe zu lieben! Besonders, wenn sie auf andere fällt! Wer die Bombe nicht liebt, ist ein Serbenliebchen!“ schallte es mir hinterher; die Versammlung war offenbar sehr mit sich zufrieden.
Endlich kam ich aus dem Wald heraus, ins Freie; aber auch hier war dicke Luft, diesig-verhangen, einen Film aufs Gesicht legend, schwer. Naßgrün lagen die Wiesen, fettbraun glänzte die Erde am Wegrand. Ich lief und lief und kam doch nicht davon; immerhin war es menschenleer. „Die Bombe lieben!“ hallte es nach. Die Neutronenbombe vielleicht? Das adäquate Haushaltsgerät für die deutschen? Der Gedanke hatte etwas Befreiendes.
Wenn man die Fernseh-, Funk- und Verlagshäuser, in denen die Bomben auf das jugoslawische Fernsehen als Sieg des Guten und ethisch Notwendigen gefeiert wurden, mit ein paar freundlichen Neutronenbömbchen belegte, wären die Stinkmorcheln weg; ihre Geräte aber wären noch da. Man könnte schöne Zeitungen machen, mit lauter weißen Blättern, könnte Funklöcher produzieren, Schweigen im Äther, auf allen Kanälen. Es klang verlockend.
Ich stellte mir die Berliner Republik vor, die Chimäre, hinter der sie alle herrannten, hysterisch, wichtig, aufgepumpt, hohl; ohne das ganze Personal existierte das Wahngebilde nicht. Wie schön.Die architektonischen Menschenversuche standen leer herum und verrotteten peu à peu, niemand füllte das Zeug mit Lärm. „Die Regierung kann kommen!“ hatte einer verkündet; jetzt konnte man seine und die Anzüge seiner Regierung an albanische Flüchtlinge verschenken, die trugen gerne so protziges Zeug. Es war herrlich: Keine Wanderlust mehr, kein Vandalismus und vor allem nichts mehr dazwischen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen