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Globale Räume

Möbelstücke interessieren die Berliner Designer Marcus Bahra und Tilmann Stachat nicht. Die Herren fürs Gesamtkonzept erdenken Raumlandschaften  ■   Von Kirsten Niemann

Laute Geräusche, Sägen und Hämmern dringen selten aus der Designwerkstatt von Marcus Bahra und Tilmann Stachat in der Kreuzberger Waldemarstraße. Natürlich wird hier gelegentlich an einer Tischplatte gesägt, am Modell geschmirgelt und herumprobiert. Doch meist wird gedacht.

Stachat und Bahra sind Holzdesigner und gestalten Räume. Sie schaffen Interieurs. Planen und betreuen alles von der Fußmatte bis zum letzten Lichtschalter. Doch die Zeiten, in denen sie selbst Möbel, Regale und Stellwände zimmerten, sind vorbei. „Inzwischen wissen wir, welche Tischlereien wir mit Holzarbeiten beauftragen können.“

Beide haben einmal als Tischler angefangen. Bahra machte seine Lehre Mitte der achtziger Jahre in Babelsberg. Nebenher ließ er sich als Restaurator an den Staatlichen Museen ausbilden. Stachat arbeitete nach der Lehre als Modellbauer bei einer Firma in Erkner. 1990 machten die beiden Jugendfreunde eine dreijährige Zusatzausbildung als Designer für Holzgestaltung an der Schule für angewandte Kunst in Schneeberg, Sachsen. Dann immatrikulierten sie sich für Produktdesign an der Hochschule der Künste.

Noch im Studium arbeiteten sie als Raumgestalter an einem gemeinsamen Projekt. Der Job war leicht zu finden. Denn kaum noch ein Kneipier in der neuen, edlen Mitte Berlins überläßt die Einrichtung einer neuen Bar dem eigenen Geschmack. Man holt sich Profis. Wie der damalige Inhaber der Salomon-Bar in der Mulackstraße.

Die Salomon-Bar – mittlerweile wieder geschlossen – spiegelt eine bewußte Abkehr der Bauhausidee mit ihrem Credo form follows function. Bahra und Stachat gestalteten die Bar als unbestimmten Raum: Zylindrische Wandelemente lösen alles Geradwinkelige des Interieurs auf, Nischen und Vorsprünge entstehen. Die Beleuchtung taucht den Raum in diffuses Licht. Farbige Lampen hinter den Wandelementen schaffen eine indirekte Beleuchtung. Und: Mit Hilfe einer automatischen Steuerung, die einen Wechsel von kühlem zu warmen Licht reguliert, gerät das Licht in Bewegung, bricht sich an den horizontal angebrachten Glasflächen am Thresen. Der Raum verändert sich ständig.

„Was der Gestalter macht, zählt manchmal nur zu einem kleinen Prozentsatz“, meint Stachat. Schließlich seien Publikum, Musikwahl und Nase des Kellners genauso wichtig für die Attraktivität einer Kneipe wie eine ausgefallenes Einrichtung. „Daß die Salomon-Bar mittlerweile pleite ist, war sicher nicht unsere Schuld.“

Nach dem Projekt Salomon-Bar schmissen sie ihr Studium an der HdK, ohne Abschluß. Schließlich hätten sie bereits klare Vorstellungen von dem, was Design leisten muß, der Altersunterschied der vierunddreißigjährigen zu den Kommilitonen war zu groß. „Wir waren nicht mehr formbar und eigentlich schon zu weit, als wir mit dem Studium begannen.“

Inzwischen arbeiten sie als freie Designer, gestalten ihre Entwürfe wie ein altes Ehepaar: Manchmal diskutieren sie endlos, zanken sich um ihre Ideen. Bahra hockt und entwirft am PC, Stachat feilt an den Modellen.

Nach der Bar folgten unterschiedliche Projekte, ob Küchen und Flurgestaltungen für private Kunden oder Räume öffentlicher Einrichtungen: Wie die Kita in Wilmersdorf, in der die Kinder durch eine Bauklotzlandschaft aus Holzkästen, Schrägen und Höhlen rutschen und krabbeln können. Oder der Clubraum für die Initiative Jugendarbeitsloser in Neuruppin. Für das Rathaus Fürstenwalde entwarfen sie einen multifunktionalen Konferenztisch, eine Ausnahme im Repertoire der Designer.„Einzelne Möbelstücke interessieren uns eigentlich gar nicht“, sagen sie, „es geht uns um die Raumwirkung als Ganzes.“

Jetzt probieren sich Stachat und Bahra am Kunst am Bau. Vergangenen Sommer gewannen sie den Wettbewerb für die Verschönerung der Birkenhain-Schule in Französisch-Buchholz. „Ein trister Klotz, ein Sparbau“, findet Stachat. Sie entschieden sich für ein abstraktes Konzept: ausgehend von einer windschiefen, bunten, Würfelskulptur auf dem Schulhof schweben rechteckige Farbflächen in das Gebäude, über alle Etagen. Während vorher alle Stockwerke in dem modernen, roten Backsteinbau gleich aussahen, hat nun jede Etage eine eigene Deko in einer eigenen Farbe. Eine Maßnahme, die den Schülern eine Orientierungshilfe ist. „Nur mit einer Skulptur auf dem Hof hätte sich die Schule kaum aufpeppen lassen“, finden beide. Raumgestalter denken eben globaler.

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