■ RU 486 macht ungewollt Schwangere auch nicht glücklich: Ein Mythos verblaßt
Jetzt ist sie also greifbar nah – das kleine weiße Ding direkt und zugänglich vor Augen verliert rapide an Aura. Die katholische Kirche führt ungerührt weiter Abwehrschlachten, und wüßte man nicht, wieviel Elend der christliche Psychodruck anrichtet, wäre man versucht zu sagen: Okay, das ist ihre Rolle.
Das „Tötungsmittel“ ist da. Und? Das Saugrohr und die Instrumente zur Ausschabung sind immer Tötungsmittel gewesen. Nicht zu vergessen Stricknadeln, Plastikrohre, Kellertreppen, das Heben schwerer Gegenstände und was volkstümlich noch so gegen die ungewollte Frucht im Leibe gängig ist, in vielen Ländern. Es gibt Orte auf dieser Welt, da wäre diese Pille bitterer nötig als im hygienisch geordneten Europa. Hier bietet sie uns nun also für den kurzen Zeitraum von sieben Wochen nach der Empfängnis den Luxus der Wahl zwischen einem operativen Eingriff und einer künstlichen Fehlgeburt. Doch diese Wahl ist um keinen Deut attraktiver als die für oder gegen eine Abtreibung. Erschwert wird sie, weil Prostaglandin, das nötige Zweitmedikament, nicht zugelassen ist. Abtreiben auf eigenes Risiko? Auf jeden Fall wieder in halblegaler Grauzone.
Die Aura ist weg: Die Abtreibungspille ist nicht das angeblich schonende Wundermittel, das Emma preist und die Kirche verteufelt, weil es die Abtreibung zum Spaziergang mache. Sie ist auch kein psychisches und physisches Foltermittel, als das sie uns kurioserweise jene Kirchenmänner verkaufen.
Auf feministischer Seite ist frau sich übrigens ebenfalls nicht ganz einig, ob die Männer die Pille so lange hinausgezögert haben, um uns länger leiden zu lassen, oder aber erfunden haben, um uns im Bett verfügbarer zu halten. Schweine sind sie sowieso, kann man vergessen. Bleiben wieder mal die Frauen zurück, allein gelassen mit ihrem Problem, auch typisch. Aber was stimmt: Ohne eine gute Begleitung ist die eine Methode so unerträglich wie die andere. Eine Frau, die frühzeitig entscheidet, den operativen Eingriff nicht ertragen zu wollen, ist mit der Pille besser beraten. Eine, die sich mit der Entscheidung, ihr zukünftiges Kind zu töten, herumgequält hat, würde diese Qual vielleicht noch steigern, wenn sie die Abtreibung per Pille als Fehlgeburt in Echtzeit und Farbe durchleben muß. Denn der Gynäkologe, der einem bei der operativen Methode ein Stück Verantwortung abnimmt, ist im günstigen Fall eher eine Stütze als eine Krankenschwester, die einen mit kaltem Blick und einer kleinen weißen Pille im Bauch nach Hause schickt. Heide Oestreich
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