: Katz und Maus mit der Polizei
■ „radikal“-Demo verlief friedlich / Innensenator lockte mit Innenstadt-Verbot ProtestlerInnen erst recht in die City Von Marco Carini und Magda Schneider
Die Hamburger Innenstadt steht noch – „gewalttätige“ ProtestlerInnen, die nach Einschätzung der Hamburger Innenbehörde und der meisten Presseorgane wie ein Heuschreckenschwarm über die Hansestadt herzufallen drohten, mußte man mit der Lupe suchen. Nur im Anschluß an die friedlich verlaufene Großdemonstration gegen die „Kriminalisierung linksradikaler Strukturen“, klirrten am Samstag vereinzelt Scheiben im Schanzenviertel und in der Innenstadt, machten einige Polizeibeamte ihrem Frust über ein verpatztes Wochenende mit Schlagstock-Schlägen auch gegen Unbeteiligte Luft.
101 „Störer“ wurden „vorbeugend“ in Polizeigewahrsam genommen, sieben DemonstrantInnen inhaftiert. Ansonsten galt für die über 4000, aus zehn Bundesländern herbeigerufen Einsatzkräfte der Polizei und des Bundesgrenzschutzes: Außer Spesen nichts gewesen.
Rund 4700 DemonstrantInnen aus „linken Zusammenhängen“ hatten sich am Samstag mittag auf der Moorweide versammelt. Unter dem Motto „Radikal ins nächste Jahrtausend“ protestierten sie gegen die nach wie vor gültigen Haftbefehle gegen acht angebliche MitarbeiterInnen der verbotenen und zur „kriminellen Vereinigung“ hochgejubelten linksradikalen Zeit- schrift „radikal“ und die Kriminalisierung zahlreicher anderer linker Gruppen.
Auf der anderen Seite verwandelten die rekordverdächtige Zahl von 4000 OrdnungshüterInnen samt eines beeindruckenden Fuhrparks mit Wasserwerfern und Panzerwagen die Innenstadt in eine Festung. Diese wenig weihnachtliche Atmosphäre und das von der Tagespresse prophezeite Gewalt-Chaos zeigten Wirkung: Die Innenstadt-Geschäfte beklagten deutliche Umsatzeinbrüche.
Die Veranstaltungs-Leitung verurteilte den Versuch, die von ihr geplante „starke politische Demo“ als Marsch der Gewalttäter zu diffamieren, und forderte die Polizei am Gänsemarkt auf, die Innenstadt für den Protestzug freizugeben. Ergebnislos. Auch nach kurzem Gespräch zwischen der polizeilichen Einsatzleitung und der Anwältin der Demo-Veranstalter blieb es dabei: „Am Marschweg wird nicht gerüttelt, das haben die Gerichte so entschieden.“
Mit City-Verbot und einem polizeilichen „Wanderkessel“ sorgte die Einsatzleitung dafür, daß die Demonstration weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfand und sich die Wut der aus der ganzen Republik, den Niederlanden und Dänemark angereisten ProtestlerInnen steigerte. Am Neuen Pferdemarkt löste sich der Protestzug – nach kurzer Zwischenkundgebung vor dem Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis – vorzeitig auf.
Erst im Anschluß kam es zu vereinzelten Sachbeschädigungen: Mehrere Müllcontainer wurden im Schanzenviertel in Brand gesetzt, ein paar Steine trafen die Fassade des Polizeireviers „Lerchenstraße“, ein „Haßkappen“-Träger – der offenbar auch sein Hirn vermummt hatte – schmiß einen Pflasterstein in einen vollbesetzten Croqueladen im Schanzenviertel. Als ein Berliner Polizeitrupp Jagd auf die Steinewerfer machte, setzte es auch Knüppelschläge gegen unbeteiligte Passanten, die im Schulterblatt in mehreren Hauseingängen Zuflucht vor der herbeistürmenden Einsatzkohorte suchten.
Ein Großteil der DemoteilnehmerInnen, nicht bereit, nur auf menschenleeren Straßen seinen Protest kundzutun, „sickerte“ anschließend in die Innenstadt ein, um in Kleingruppen Flugblätter zu verteilen, die „Freilassung aller politischen Gefangenen“ zu fordern und mit der Polizei Katz und Maus zu spielen.
Die ortsfremden Beamten zeigten sich sichtlich überfordert. Funksprüche der Preisklasse: „Wir brauchen dringend Unterstützung!“, „Wir stehen am Ballindamm, wo ist denn das Alsterhaus?“ gingen in allen Dialekten der Republik über den Äther. Um „Straftaten zu verhindern“, kassierte die Polizei jeden ein, der nur mal kurz die „Internationale“ anstimmte oder entfernt so ausah, als könnte er zu den ProtestlerInnen gehören: Einer Mutter auf Einkaufsbummel wurde von übereifrigen Beamten gar ihr Sohn förmlich „aus der Hand gerissen“ und abgeführt.
Im Verlauf der weiteren Scharmützel wurde ein Pressefotograf in der Spitalerstraße bei einem Einsatz von Beamten aus Berlin-Tegel verletzt, und am Neuen Wall klirrte noch eine Schaufensterscheibe. Die von den Medien an die Wand gemalte Zerstörungswelle aber viel ersatzlos aus.
Siehe auch Seite 1 und 4
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen