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Hans-Olaf Henkels Fackel lodert noch, sagt Hans-Olaf Henkel ■ Von Wiglaf Droste
Es gibt Leute, die wecken noch im friedfertigsten Menschen eine romantische Sehnsucht nach Willkürmaßnahmen. Ein führender Repräsentant dieser Ohrfeigensorte Mensch ist Hans-Olaf Henkel. Er ist Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Das alleine reicht ihm aber nicht. Er muß auch der Zeit-Beilage mit dem unterirdischen Namen „Leben“ etwas diktieren. „Ich habe einen Traum“, heißt die Rubrik, für die Hans-Olaf Henkel einen Traum hat.
„Charlie Parker ist Jazzsaxophonist. Ich finde, er ist der genialste schwarze und vielleicht der einflußreichste Musiker dieses Jahrhunderts. Er ist die Keimzelle meines Traumes, der Träger des Gerüstes, auf dem mein größter Wunsch ruht.“ Dafür ist Charlie Parker nicht gestorben, könnte man sagen, aber wer stirbt schon für etwas? Tote können sich nicht wehren, und ein Fan ist ein Fan, auch wenn er Hans-Olaf Henkel heißt. Nur daß Hans-Olaf Henkel ein besonders klebriger Fan ist: „In meinem Traum ist da auch dieses Geräusch: ein Klopfen an der Tür. Er ist es selbst. Er drückt mir ein Saxophon in die Hand und sagt: Spiel es, hol alles aus ihm raus.“
So kommt es, daß in Hans-Olaf Henkels Traum Charlie Parker irgendwann nur noch Charlie heißt: „Vielleicht würde Charlie antworten: Mann, das ist alles eine Frage der Übung, der Ausdauer, des Ehrgeizes, der Disziplin. Ich sage: Du hast recht, aber es hat nicht gereicht dafür. Und dann würden wir zusammen auf ein Konzert gehen, zu Lester Young, dem wunderbar lyrischen Tenorsaxophonisten.“
Würden sie das tun? Was im Konjunktiv schon reichlich anschmiererisch aufschimmert, wird im Indikativ ganz und gar zur fiesen Projektion: „Charlie Parker und die anderen haben den Blues, den ich gerne hätte. Und sie lassen ihn raus, weil man ihn nicht einsperren darf.“ Jaah, laß es raus, Baby! „Ich habe ihn auch, ich spüre es. Er ist in meinem Blut. Doch nicht in meinem Kopf. Der ist voll von Wirtschaftsdaten, Wegen aus der Krise und davon, wie man Millionenaufträge an Land zieht.“ So hart ist der Blues des Hans-Olaf Henkel: Morgens aufwachen, und das Konto ist voll. Das kann einen Mann fertigmachen. Ihm den Blues ins Blut geben. Aber noch ist Hoffnung: „Habe ich vielleicht doch musische Talente? Sperre ich mich nur gegen sie?“ fragt Hans-Olaf Henkel. Wer weiß das? Und wer will das wissen?
Auf jeden Fall Hans-Olaf Henkel. Der auch weiß, was für ein doller Kerl er ist: „Ich halte oft Reden, stehe ganz vorn, man hört mir zu.“ Zum Beispiel, wenn Hans-Olaf Henkel laut denkt: „Nichts, was man tut, ist umsonst, denke ich.“ Oder wenn er noch ein Kalenderblatt abreißt: „Wirkliche Genies sterben jung und allein, heißt es.“ Der Mut, mit solchen Traktätchen vors Publikum zu treten, hat Charlie Parker allerdings gefehlt.
Hans-Olaf Henkel dagegen ist unverdrossen. „Meine Fackel lodert noch“, resümiert er frohgemut sein Leben. Bei Lotti Huber hieß dieselbe Prahlerei: „Die alte Zitrone hat noch viel Saft.“ Glücklich, wer solche Sätze nicht auf ihren Wahrheitsgehalt hin prüfen muß. Aber man soll Verständnis haben mit den Menschen, sogar mit solchen wie Hans-Olaf Henkel. Also gut: Wenn ich Hans-Olaf heißen müßte,hätte ich vielleicht auch ein Problem.
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