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Der Rock ist schön!

Rock 'n' Roll hat gesiegt, jetzt geht es darum, trotzdem weiterzumachen: Tocotronic zeigen, wie das Kunststück geht. Mit Rauhreif in die „Neue Seltsamkeit“  ■ Von Susanne Messmer

Etwas tragisch Verlorenes haftet ihnen an. Wie Tocotronic da in ihrem neuen Video stehen, mit geneigten Häuptern, und konzentriert ihre Instrumente spielen, das führt ihren berühmten Weltschmerz zu ungeahnten Dimensionen. Ihre Traurigkeit hat sich zu neoexistentialistischer Verve hochgeschraubt. Zu einer Verdüsterung, die auch das eisige Entsetzen kennt. Wie in einem Clip der achtziger Jahre stehen sie einfach nur da, während hinter ihnen der bombastische brennende Schriftzug „Let there be rock“ abläuft. Das hat aber auch etwas Absurdes, Anachronistisches. Es ist „Die neue Seltsamkeit“, wie ein anderes ihrer Lieder heißt, die ein Loch ins Gesamtbild reißt – ins Regalfach des angeblich jüngsten, melancholischsten, aber erfolgreichsten Ablegers der deutsch dichtenden „Hamburger Schule“, der sie ewig zugeordnet wurden.

Ihren vielgeliebten Trotz, ihre Wut auf die Welt saugt dieses Loch trotzdem nicht von der Bildfläche. Es verschiebt sie aber um ein Stück. Als wäre Dagegensein plötzlich nicht mehr der Weisheit letzter Schluß. Dirk von Lowtzow, der Gitarrist, Texter und Sänger von Tocotronic, singt: „Das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut.“

Neuerdings auch gegens Dagegensein

Es ist also alles beim alten geblieben, und es ist auch etwas dazugekommen: eine Irritation, ein eskapistischer Impuls. Tocotronic sind die zerbrechlichsten Wesen ihres Hamburger Umfelds. Sie tragen das Herz auf der Zunge, haben keine Angst davor, peinlich zu sein, keine Scheu, Verunsicherung und Verzweiflung zu kultivieren, das Abenteuer der radikalen Selbstreflexion zu unternehmen. Sie schämen sich nicht, Worte wie „Dürftigkeit“ zu sagen. Gleichzeitig aber sind Tocotronic auch humorvolle Helden der Verneinung geblieben. Man muß Ablehnung als Haltung nicht als neuen Gegentrend heraufbeschwören, wenn man Tocotronic hört. In dieser Hinsicht geben sie nicht nur sensible Pennäler, sondern die klassische Rockband, die Widerstand leistet. Und jetzt, neuerdings, sind sie auch noch gegen dieses Dagegensein.

Damals, vom ersten Album 1995 bis zum vierten vor zwei Jahren, hatten sie sich noch geschworen, Alben wie Kaninchen zu machen, Momentaufnahmen des Tocotronischen Mikrokosmos, Punk, Songs für die Wohnzimmerrevolte, so aufstachelnd wie narzißtisch, voller Haß und toller Parolen zum Mitsingen und zum Mithüpfen: „Alles, was ich will, ist nichts mit euch zu tun haben“, schrie der Dirk. Auf ihrem neuen Album „K.O.O.K.“ ist es nun der rebellische Gestus des Rock als Sprachrohr, Gefühlsverstärker und Identitätskonstrukteur, den Tocotronic genüßlich herbeiholen: Die Fanfaren von „The Final Countdown“ von Europe, der Schmalzhall von AC/DC, der Stampfrhythmus von Queen: We will rock you.

Raus aus der netten Hobbykellerästhetik

„Einerseits mögen wir das alles, es löst Erinnerungen aus, andererseits ist es auch Ende der Neunziger ganz schön lächerlich, ,Let there be rock' zu sagen“, sagt Jan Müller, der Bassist der Band, in einem dieser gruseligen Hotelkonferenzräume. Stadionrock in seiner massenwirksamsten und schon erstarrten Phase zu zitieren, das ironisiert den hausgemachten Dilettantismus der Tocos. Sie hätten ihre Hobbykellerästhetik einfach nicht ewig weiterspinnen können. Deshalb also Rock, der heimliche Konservativismus von Tocotronic. Und außerdem: Erinnerungen sind sowieso viel intensiver als Gegenwärtiges.

Aber das ist noch nicht alles. Tocotronic gehen mit ihrem Schweinerock auch auf Abstand zum gegenkulturellen Topos des Tabubruchs. Den Kampf um befreiten Sex, Verweichlichung, Zügellosigkeit und Egoismus hat Pop längst gewonnen. Und ist so auch zum Bestandteil einer immer erfolgreicheren Spaß- und Überflußgesellschaft geworden. Tocotronic haben auch gewonnen. Jetzt geht es darum, trotzdem weiterzumachen. Der Maschine Pop zu entwischen, sind Tocotronic angetreten. Im Zentrum der Musikindustrie angelangt, versuchen sie nicht, wie ihre Musikerfreunde, Die Sterne, an den Rändern festzuhalten und sie nach innen zu zerren.

Anders auch als Lars von Trier, der mit seinem Dogma 95 versucht, Bescheidenheit neu zu bedenken, agieren Tocotronic auf ihrem neuen Album eher wie eine unterkühlte Konzeptband im Format von Kraftwerk oder Laibach –-letztere haben übrigens auf „Nato“, ihrem vorletzten Album, auch „The Final Countdown“ gecovert. Ebenso wie Laibach bedienen Tocotronic sich der Widersprüchlichkeit der negativen Affirmation: spielen antiauthentisch mit den Zeichen der Macht und betreiben zersetzende Zustimmung – wenn auch nur auf musikalischer Ebene.

Laibach schufen sich Freiraum auf den Zuschauerbänken, indem sie die Symbole des Faschismus und des Stalinismus in den Ring schickten. Tocotronic befreien sich vom Lauf der Zeit, indem sie sie durchlaufen: „Das ist der Rock, und siehe, er ist schön!“

Es ist also etwas Neues aufgetaucht: Tocotronic machen auf Liebesentzug. Immer waren sie die Band, mit der jeder rumhängen wollte. Noch immer öffnen sie sich im Interview erst dann, wenn die typischen Fanfragen dran sind: „Ich kann schon ohne Koketterie behaupten, daß ich immer draußen war“, berichtet Mittelstandskind Dirk von Lowtzow, „ich war so dürr und so völlig unsportlich von der fünften bis zur zehnten Klasse – und dann diese Zahnspange! –, und dann wollten meine Eltern noch nicht mal den Kleiderzwang mitmachen.“ Gierig schnappte man jeden Klatsch auf, zum Beispiel über Arne Zank, den Schlagzeuger mit Physikstudenten-Appeal: „Die sind jetzt voll reich und drehen ab. Arne hat sich sogar schon einen Laptop gekauft“, hörte man es gelegentlich raunen. Und somit nahmen sie uns alle an die Hand und in den Arm. Weich und kuschlig war es da: „Unsere Leidenschaft ist ihnen rätselhaft“, sang Dirk auf „Es ist egal, aber“, dem letzten Album. Rätselhaft, das war ihnen unsere Leidenschaft nie.

Frostige Leerstellen im Liedgut

Heute aber sagen sie: „Es nervt uns, daß wir Lieder geschrieben haben, die dazu einladen, mitzugrölen. Die Form des extremen Auf-den-Punkt-Bringens war nach der vierten Platte ausgereizt. Wir wollten den Widerstand nicht kultivieren, beliebig und unglaubwürdig machen. Und wir wollten das alles mehr verästeln und drehen“, erzählen Dirk und Jan. Sie sträuben sich, Ausdruck eines Lebensgefühls, Teil einer Jugendbewegung sein zu müssen – einmal ironisch besungen, waren sie es doch geworden. Jetzt versuchen sie sich der Vereinnahmung zu entziehen – durch Verkomplizierung, nicht gewollt, sondern nicht anders gekonnt. Diese Verästelung läßt frostige Leerstellen, die Aufforderung, sich wie bei der Gedichtinterpretation in sie einzuhaken – daß Tocotronic es klaffen lassen, um nicht einfach immer weiterzumachen, das paßt dazu, daß sie sich weigern, ihre Texte selbst zu deuten.

Wunderbar flauschiges Glück im Unglück

„An einem Weihnachtsabend, an dem mich niemand rief, kam ein Freund in mein Zimmer, an mein Bett, in dem ich schon schlief“, singt Dirk. Als wolle der Knochenmann ihn holen: „Er nahm meine Hand, er war mir bekannt.“ Dazu ertönen gezupfte Geigen wie beim einlullenden Schlaflied „Lullaby“ von The Cure, den neuerdings seelenverwandten Obergrufties mit ihrer schauerromantisch märchenhaften Moll-Lastigkeit. Beklemmung legt sich wie Rauhreif über das kalte Herz. In diesem Lied sind Tocotronic am seltsamsten geworden, komisch und flau, unerwartet umgekehrt, unerklärlich und auf eine unbestimmte Art unheimlich. Plötzlich tauchen entfernte Geräusche und klammes Dämmerlicht in den Texten auf, auch wie zufällig eingetröpfelte, verwirrende Elektronik.

Im Vergleich zu ihren großartigen, winzigen Würfen von früher ist das merkwürdig unkonkret geworden. Das Grauen, die verzerrte Grimasse des Realen hat Einzug gehalten in ihre Musik. Ein Makel ist in fast jedem Song, der das Bild gewaltig trübt, nimmt man ihn ernst. Er läßt sich nicht auf das Netz symbolischer Beziehungen reduzieren. Kleine, unscheinbare Dinge werden zu erschreckenden Monstern, außerirdisch. Ungeheurer Ekel stellt sich ein. Doch ist es ein Ekel, der sich mit dem Begehren vermischt, „weil man es eigentlich ja mag“. War das Andere in den Alben zuvor das Verdrängte einer falschen Totalität, einer hassenswerten, widerstandslosen Gesellschaft, ist es jetzt ins Zentrum gerückt, ein Fremdkörper, ein Schock. Man bekommt es nicht integriert, hält sich aber an ihm fest wie am letzten Rettungsreifen. Dieser klebrige Überrest, dieses hartnäckige Wirklichkeitsfragment ist der Auslöser des Ekels vor der Welt. Doch war er nicht vor dem Ekel da. Der Ekel hat ihn als sein eigenes Objekt erschaffen, ein Ding, das das unmögliche Genießen verkörpert.

In den Sinn des Textes nicht integrierbare „Fahrradklingeln“, „Verkehrsgeräusche“, über die man stolpert. Postrockistische Brüche, mitten im Rock, sophisticated wie bei keiner anderen deutschsprachigen Band. Und trotzdem einfach auch Spaß haben können mit Tocotronic, dies wunderbar flauschige Glück im Unglück auskosten. So schön wird es das nicht noch einmal geben.

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