Kommentar: Machtansprüche
■ Ibrahim Rugova kehrt in das Kosovo zurück
Die großen Hoffnungen, die die internationale Gemeinschaft mit der Rückkehr des Kosovo-Präsidenten Ibrahim Rugova in die Provinz verknüpft, sind angesichts der dortigen Probleme verständlich. Mit der Realität jedoch haben sie kaum etwas zu tun: Der Stern des Pazifisten, den die Kosovo-Albaner 1992 mit gewaltiger Mehrheit zu ihrem Präsidenten gewählt hatten, sinkt seit langem. Der Autoritätsverlust, den Rugova sein Gruppenfoto mit dem jugoslawischen Präsidenten Milosevic während der Nato-Bombardements beschert hat, war nur eine weitere Illustration dieses Prozesses.
Eben das will Rugova nicht anerkennen. Wie sonst wäre sonst zu erklären, daß er unbeirrt auf seinem Führugsanspruch beharrt und ganz reale Meinungsverschiedenheiten zwischen den Befreiungskämpfern der UÇK und seiner „Demokratischen Liga des Kosovo“ nur zähneknirschend zur Kenntnis nimmt?
Diese Fehleinschätzung – und damit die Person des Kosovo-Präsidenten selbst – könnte jetzt zum Hemmschuh der so dringend notwendigen demokratischen Entwicklung werden. Paradox ist, daß die rivalisierenden albanischen Lager in vielen Punkten gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Nicht nur ein schneller Wiederaufbau der politischen und administrativen Infrastruktur ist Konsens, sondern auch Wahlen – und mittelfristig die Unabhängigkeit des Kosovo von Jugoslawien. Ob das jedoch als Klammer ausreicht, ist fraglich.
Zumindest im Moment deutet nichts darauf hin, daß Rugovas Gegenspieler und Chef der provisorischen Regierung, Haxim Thaqi, sowie andere Vertreter der UÇK geneigt wären, sich dem heimgekehrten Präsidenten unterzuordnen. Das mit Rugovas Rückkehr anstehende Gefeilsche um Machtpositionen bringt derweil nicht zuletzt die UN in eine Zwickmühle: Sie steht unter dem Druck, in absehbarer Zeit Ergebnisse beim Aufbau von politischen Strukturen im Kosovo vorweisen zu müssen. Bisher sind alle Versuche, ein Beratungsgremium mit Vertretern aller albanischen politischen Richtungen zu besetzen, gescheitert. Wenn sich das nicht bald ändert, wird die internationale Gemeinschaft ihre Kandidaten durchdrücken müssen – wenn nötig mit Zwang. Damit hätten die Kosovo-Albaner ihre Chance, am Aufbau demokratischer Strukturen mitzuwirken, vertan. Barbara Oertel
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