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Der Kämpfer vom Berg Masada

Seit fünf Jahren leitet Klaus Pierwoß das Bremer Theater. Ein Halbzeitportrait  ■ Von Christoph Köster

s war ein heißer Tag im August. Die Kultursenatorin Helga Trüpel hatte in ihr Arbeitszimmer am Herdentorsteinweg eingeladen, um die Lösung einer Personalfrage zu verkünden. Nach monatelanger Suche nach einem neuen Indendanten für das ziemlich heruntergewirtschaftete Theater am Goetheplatz waren die Headhunter vom Herdentor in Berlin fündig geworden: Klaus Pierwoß, seit 1990 Chef-Dramaturg am Maxim-Gorki-Theater und einer der ersten West-Ost-Übersiedler in der deutsch-deutschen Völkerwanderung, sollte neuer Intendant des Bremer Theaters werden. Sechs Jahre ist das jetzt her. Mittlerweile hat Klaus Pierwoß fünf Spielzeiten am Bremer Theater verantwortet. Pierwoß, der noch weitere fünf Jahre bleiben will, spricht selbst von seiner „Halbzeit“. Am gestrigen Freitag ertönte der Pausenpfiff. Wir schreiten zum Spielbericht.

Klaus Pierwoß scheint immer da zu sein. Selbst wenn der füllige Intendant des Bremer Theaters nicht körperlich anwesend ist, spukt der Geist des Chefs durch das Haus. In den ersten fünf Jahren seiner Intendanz hat sich der 1942 im Emsland geborene Pierwoß nicht nur hausintern einen Ruf erworben, der mit dem Wort Patriarch gelinde umschrieben ist.

Im Bremer Theater, so eine Anekdote, korrigiert der Chef die Kommafehler im Spielplan höchstpersönlich. Man nennt ihn „den Dicken“ oder „den Alten“, und daraus schimmert nicht immer Respekt hervor. Gleichwohl haben Pierwoß und selbstredend die 430 fest angestellten MitarbeiterInnen des Bremer Theaters Schwung in die Bude gebracht. Der FAZ-Kritiker Dirk Schümer bescheinigte dem Theater, eines der muntersten in ganz Deutschland zu sein und bescherte Pierwoß ein Lieblingszitat. Erzählen wir also eine Erfolgsgeschichte. Die Risse hat.

Es gibt ein Bild für den ersten Abschnitt der Ära Pierwoß. Und auch das gehört zu einem heißen Tag. Die Sonne schien diesmal jedoch nicht über Bremen, sondern über dem antiken Festungsberg Masada am Toten Meer. Von der Westseite beträgt der Anstieg etwa 200 Höhenmeter. Bei mindestens 35 Grad im Schatten kommen da selbst Sportler ins Schwitzen. Klaus Pierwoß hatte sich gerade von einer streßbedingten Krankheit erholt. Zusammen mit mir nahm er an einer Israel-Reise teil. Auch den Aufstieg nach Masada machte er mit. Er kämpfte sich buchstäblich auf den Berg und wirkte oben doch ausgeruhter als manche andere.

Wenn er nicht schon vorher eine Kämpfernatur war, hat Pierwoß sie sich in Bremen zugelegt. „Das Bremer Theater“, sagte der bekennende Fußballfan damals in Helga Trüpels Senatorinnenzimmer, „steckt in einer besonderen Problematik: Die Erwartungshaltung entspricht der ersten Bundesliga, doch der Etat nur der zweiten.“ Trotzdem erklärte er sich mit einer Budgetkürzung um zwei auf 40 Millionen Mark (inclusive Orchesterzuschuß) einverstanden. Trüpel hatte ihm im Gegenzug eine fünfjährige Etatgarantie gegeben. Dafür wollte Pierwoß, dem diese Zeitung damals einen Schlag ins Gastwirtshafte attestiert hatte, „das Theater wieder zu einem kulturellen Mittelpunkt der Stadt“ und „den Bremern auf lustvolle Weise wieder Lust aufs Theater machen“. „Kräftiges“ statt „esoterisches“ Theater kündigte er an und meinte damit „Stücke von Autoren wie Jelinek oder Tabori, die sich entschieden zur Wirklichkeit verhalten“. Aus „Klassikern sollten Funken geschlagen werden“, sagte er in einem ersten Bremer Interview. Doch es sollte mehr als ein Jahr dauern, bis diese Botschaften beim Publikum ankamen.

Sein Vorgänger, der über eine SPD-Connection nach Bremen geholte Hansgünther Heyme, hatte reichlich ZuschauerInnen mit finanziell aufwendigen, aber meist schnarchlangweiligen Inszenierungen vergrault. Der damalige Verwaltungschef Rolf Rempe sprach von einem dramatischen Publikumsschwund vor allem im Schauspiel. Getreu der Heyme-Devise „Das Spielen ist ja das Teure am Theater“ waren die Spielstätten fast häufiger geschlossen als offen. Zwischen 1991 und 1994 hatte das Theater 70.000 ZuschauerInnen verloren. Nur noch 150.000 Menschen pro Jahr wollten Bremer Theater sehen. Dazu beigetragen hatte auch die fatale Entscheidung des Heyme-Vorgängers Tobias Richter, wegen eines Bühnenumbaus am Goetheplatz die Abos zu kündigen. Das Eröffnungsstück im Schauspiel der ersten Pierwoßsaison 1994/95 liest sich heute wie ein rückblickender Kommentar: „Hilfe, das Volk kommt.“ Inzwischen kommt das Volk wieder, und nur noch wenige Service-MitarbeiterInnen scheinen sich davor zu fürchten. Pierwoß und Co. haben den Scherbenhaufen der Vorgänger ansonsten aufgeräumt. AbonnentInnen- und ZuschauerInnenzahlen steigen Jahr für Jahr.

Dabei haben Bremer KulturpolitikerInnen seit dem Antritt der Großen Koalition 1995 alles dafür getan, Pierwoß die Arbeit zu erschweren. Spätestens im sogenannten Bremer Theaterstreit um eine weitere Kürzung des Etats und somit den Bruch des Intendantenvertrages hat er das Kämpfen gelernt. Weil Ex-Kultursenatorin Bringfriede Kahrs (SPD) und ihre Berater keinen Reformeifer hatten, sondern dem Theater nur ans Geld wollten, konnte Pierwoß dagegenhalten. Obwohl er kein begnadeter Redner ist, hat er ein ausgeprägtes Gespür für publicityträchtige Aktionen und Entscheidungen. Pierwoß mobilisierte Menschen für das Theater und fand Verbündete, was auch zur Gründung der Kulturinitiative „Anstoß“ führte. Doch die Diskussion über die zum großen Teil nur durch bundesweite Initiativen zu erreichende Reform des Apparates Staatstheater ist dabei verstummt. Eine theaterinterne Kommission hat zu reformieren begonnen, was halbwegs im Konsens zu reformieren ist. Doch insgesamt ging es nur darum, daß beide Seiten ihr Gesicht wahren konnten. Für Politiker ist das ein Armutszeugnis.

Trotzdem wurde am Goetheplatz auch viel gutes bis exzellentes und vor allem außerordentlich vielfältiges Theater gespielt. Mit Uraufführungen und der Vergabe von Kompositionsaufträgen im Musiktheater haben die BremerInnen in der deutschen Theaterlandschaft eine Ausnahmerolle übernommen, auch wenn es sich meistens um Neue Musik der leicht goutierbaren Sorte handelt. In der zweiten „Halbzeit“ der Ära Pierwoß soll es auch im Schauspiel mehr Uraufführungen geben als die eine der letzten fünf Jahre (Matthias Altenburgs „Alles wird gut“). Das neue, sich ästhetisch von der Ära Kresnik völlig unterscheidende Bremer Tanztheater, das vor allem die bis 1995 mitregierende FDP auf die Streichliste gesetzt hatte, schloß unter Susanne Linke und Urs Dietrich an das Niveau der Vorgänger an. Und das MOKS-Theater hat seinen außergewöhnlichen Charme, auch wenn die vom Bildungsressort finanzierten Gratis-Vorführungen für SchülerInnen anderen Jugendtheatern die Bedingungen erschweren.

„Ich meine schon, einen gewissen Spürsinn für gute und interessante Leute beanspruchen zu können“, sagte Pierwoß im September 1993 über sich. Diesen Spürsinn hat er in Bremen bewiesen. Das erstligataugliche Schauspielensemble hat Pierwoß in eine Art Durchlauferhitzer für AbsolventInnen der Berliner Ernst-Busch-Schule verwandelt. Neben dem in Bremen erstmals an einem Stadttheater inszenierenden Andrej Woron setzten in der Regie von Schauspiel und Musiktheater auffällig oft Frauen die Maßstäbe. Es sind Konstanze Lauterbach oder Barbara Bilabel im Sprechtheater oder Karin Baier in der Oper. Demnächst will Pierwoß auch Lauterbach für ihre erste Operninszenierung gewinnen. Dies ein Rezept, das bei gelernten Sprechtheater-RegisseurInnen wie Karin Baier oder David Mouchtar-Samorai mehrfach aufgegangen ist.

Doch nicht jede seiner Selbstbeschreibungen hat sich in Bremen erfüllt. Im Interview attestierte sich Pierwoß einen kooperativen Führungsstil: „Mein Ideal ist eine enge Kooperation bei größtmöglicher Autonomie der Mitarbeiter.“ Nicht wenige im Theater werden darüber schmunzeln. KünstlerInnen kritisieren seine diktatorische Besetzungspolitik. Auch über die Art, Entscheidungen bis zur letzten Sekunde hinauszuzögern, wird gestöhnt. Sein Verhältnis mit dem Generalmusikdirektor Günter Neuhold gilt als zerrüttet, woran allerdings der charmante Streithahn Neuhold einen großen Anteil hat. Das Wort vom guten Außenminister, aber schlechten Innenminister macht die Runde.

Doch in der umgekehrten Konstellation wäre die erste Halbzeit der Ära Pierwoß anders verlaufen. Den Theaterstreit hätte er nicht gewonnen. Und der U-Boot-Bunker „Valentin“, den der Kämpfer vom Berg Masada entdeckt hat, als er nicht mehr auf der Polit-Bühne kämpfen mußte, wäre nicht zu einer „fünften“ Spielstätte des Bremer Theaters geworden. Anfang September beginnt die zweite „Halbzeit“.

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