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KommentarSäbelrasseln lohnt sich

■ Nordirland nach dem Scheitern des Friedensprozesses

Nordirland steht nicht am Abgrund, wie Tony Blair düster prognostizierte. Das vorläufige Ende des Friedensprozesses bedeutet keine Rückkehr zum bewaffneten Kampf, so weit ist es noch lange nicht. Die IRA weiß, daß sie ohne die Unterstützung der Bevölkerung in den katholischen Ghettos keine Chance hat, und diese Unterstützung gibt es nicht. Sollte sie es dennoch versuchen, würde sie sich keine sechs Monate halten. Und das gilt erst recht für die Splittergruppen.

Das weiß natürlich auch die Führung der protestantischen Unionistischen Partei. Sinn Féin darf nicht in die Regierung, solange die IRA nicht abrüstet, sagt sie – doch das ist ein vorgeschobenes Argument. Die Unionisten betrachten Nordirland nach wie vor als ihr Eigentum, in dem ausgewählte Katholiken, wenn es denn sein muß, ein begrenztes Mitspracherecht haben sollen. Das ist ihr einziges Zugeständnis ans 20. Jahrhundert. Das beweisen die anachronistischen Paraden des Oranier-Ordens, dem alle führenden Unionisten angehören, und das beweist eine neue Statistik, die eine in Westeuropa einmalig ungleiche Einkommensverteilung zwischen beiden Bevölkerungsgruppen festgestellt hat.

Der letzte Versuch, die Macht zwischen Protestanten und Katholiken aufzuteilen, scheiterte 1974 an einem Generalstreik der Protestanten. Doch es gibt einen Unterschied zwischen damals und heute: Diesmal war es nicht die protestantische Bevölkerung, die das Abkommen scheitern ließ, sondern ihre politische Führung. Neue Umfragen zeigen, daß selbst die Wähler des reaktionären Pfarrers Ian Paisley mehrheitlich für eine Machtbeteiligung der katholischen Parteien sind. Es lag an Blair, das Belfaster Abkommen, bei dessen Unterzeichnung Sinn Féin eine Reihe eherner Prinzipien aufgegeben hat, durchzusetzen. Statt dessen hat er den verbindlichen Vertrag auf Druck der Unionisten immer wieder neu interpretiert. Wenn Trimble gestern sagte, Blair habe ihm gegenüber angedeutet, daß er zu weiteren Zugeständnissen an die Unionisten bereit sei, dann ist das eine fatale Botschaft: Säbelrasseln zahlt sich aus. Wenn sich in den katholischen Ghettos die Überzeugung durchsetzt, daß das unionistische Veto gegen Veränderungen in Nordirland ungebrochen ist, dann schwindet über kurz oder lang vermutlich auch die Ablehnung des bewaffneten Kampfes. Ralf Sotscheck

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