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Nicht alles ist schwarz-weiß

■ Zwei serbische Deutschlehrerinnen aus Jugoslawien über ihr Verhältnis zu Deutsch-land, Politik und Krieg: „Es klingt vielleicht komisch, aber das war eine wichtige Erfahrung

Wer jetzt aus Serbien nach Deutschland reist, gehört kaum zu den SympathisantInnen des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Aber wie fühlen sich zwei jugoslawische Deutschlehrerinnen in Bremen – nachdem sie wochenlang im Bunker Schutz vor Nato-Bomben gesucht haben, die zwischen politischen Freunden und Feinden des Regimes keine Unterschiede gemacht haben? Darüber sprach die taz mit Jelena Aca (Pancevo) und Danka Radovic (Cacak). Sie nehmen derzeit an einer Fortbildung des Goethe-Instituts teil.

taz: Sie wußten ja sicher nicht, daß es Krieg geben würde, als Sie sich für den Deutschlandaufenthalt beworben haben. Was dachten Sie, als Deutschland mitmachte?

Jelena: Ich finde jede Verallgemeinerung schlecht. Während des Krieges hatte ich viel Briefwechsel mit Deutschen, von denen sich viele gegen den Krieg eingesetzt haben. Die deutsche Regierung beteiligt sich an der Nato – aber warum sollte ich deswegen etwas gegen Goethe-Institut und meine deutschen Freunde haben?

Kann man das so trennen, nach den Nächten im Keller?

Jelena: Vielleicht, weil ich keine Verwandten oder Freunde verloren habe.

Danka: Ich hatte nie Zweifel daran, daß ich nach Deutschland kommen wollte. Aber ich hatte Angst, daß der Krieg länger dauert und es vielleicht daran scheitert. Ich muß das gestehen. Ich empfand das nicht so, daß wir von Deutschland bombardiert wurden, sondern von der Nato. Aber bevor es losging, hatte ich gehofft, die Deutschen würden nicht mitmachen. Einfach weil ich Deutschlehrerin bin, und weil die Kinder am ersten September wieder zu mir kommen sollen.

Und die Englischlehrer?

Danka: Das ist merkwürdig. Die haben das Problem nicht. Den Engländern, auch den Italienern und den Amerikanern wird man schnell alles verzeihen. Aber den Deutschen nicht. Die Leute in meiner Umgebung sagen, die Geschichte wiederholt sich.

Jelena: Bei mir im Bekanntenkreis ist es anders. Aber das Gefühl ist schon: Von den Deutschen haben wir am wenigsten erwartet – aber am meisten bekommen. Das ist wirklich nicht ironisch gemeint. Von den vier großen Mächten, die sich eingesetzt haben, haben die Deutschen sich vielleicht sogar am besten verhalten. Besser als die Engländer, Franzosen und Amerikaner. Deutschland hat auf eine politische Lösung gedrängt.

Als Sie heute zu uns kamen, haben Sie sich als Serbinnen vorgestellt. Warum?

Jelena: Weil alle Leute es immer genau wissen wollen.

Bevor die Bomben fielen, haben wir in Deutschland Fernsehberichte über die einsetzende Flucht im Kosovo gesehen und auch Berichte von Greueltaten serbischer Polizei gehört. Hat die serbische Bevölkerung von all dem gewußt?

Jelena: Wir erfuhren nicht viel oder wenn, dann war die Informationslage unklar – der Grund, warum es zu diesen Konflikten kam, beispielsweise. Aber schon im Juni letztes Jahr haben wir übers Internet und mit Flugblättern gegen einen Krieg im Kosovo aufgerufen.

Danka:In meiner Umgebung leben viele serbische Flüchtlinge, die schon vor zehn Jahren aus dem Kosovo geflohen sind. Die Serben fühlten sich dort immer unsicher – und jetzt tut es mir leid, daß ich diese Leute nicht richtig verstand. Man konnte schreckliche Geschichten hören ...

... wem waren die zugestoßen?

Danka: Den Serben. Ich hatte immer gehört, daß man sich im Kosovo nicht sicher fühlen kann. Die Konflikte, die zwischen Serben und Albanern geschahen, kennen nur wenige wirklich. Richtige Informationen haben wir sicher nicht. Aber das Hauptproblem ist, daß viele in der Welt nicht verstehen, daß Kosovo zu Serbien gehört. Nicht zu Jugoslawien, sondern zu Serbien.

War es für Sie klar, daß der Einmarsch serbischer Truppen ins Kosovo das Problem nicht lösen würde?

Danka: Ja. Es war eine Spirale der Gewalt, an deren Ende schließlich das Bombardement der Nato stand. Die Albaner hatten vorher lange gewaltlos demonstriert – bis die UCK kam. Dann hat Milosevic die Truppen geschickt.

Viele Intellektuelle haben den Westen gewarnt, daß eine Bombardierung Jugoslawiens Milosevic in die Hände spielen würde.

Jelena: Das stimmt. Alle politische Tätigkeit war reduziert. Es gab Zensur, wogegen man in Kriegszeiten kaum etwas sagen kann. Zweitens hatten die Leute Angst ums Leben, und auch vor politischer Verfolgung.

Wie ist das gewesen?

Jelena: Die ersten Tage waren total verrückt. Man wußte nicht, was zu erwarten war, ob man in den Luftschutzkeller gehen soll, ob man fliehen soll. Aber trotzdem verbrachten viele die Nächte auf den Dächern um zu schauen.

Hat es Sie überrascht, daß die Nato angegriffen hat?

Jelena: Ich habe bis zum letzten Moment gehofft, daß es eine vernünftige Lösung gibt.

Danka: Ich habe mit Krieg gerechnet. Anders als Jelena, die sehr aktiv war, habe ich mich wie viele Freunde auch zurückgezogen. Ich saß in der Wohnung, machte Spaziergänge, las etwas, hörte die Nachrichten. Ich hatte keine Lust, an irgendwelchen Aktionen teilzunehmen. Heute bin ich stolz darauf wie wir, also das Volk, dies alles überstanden haben. So humorvoll. Wir lebten ganz normal. Es war eine Erfahrung. Vielleicht finden die Deutschen das verrückt zu hören. Aber wir sehen das so.

Was meinen Sie mit Erfahrung?

Jelena: Daß man die Angst überwinden muß – und kann. Auch den Ärger und die Wut. Man muß das alles besiegen.

Danka: Ich empfinde, wie soll ich das sagen, ... Stärke.

Jelena: Wir haben es geschafft, uns in ganz anderen Umständen zurechtzufinden. Das ist es wohl diese Erfahrung. Wir haben Essen organisiert, ohne Strom gelebt, Verkehrschaos überwunden, ganz alltägliche Probleme in einer Ausnahmesituation gelöst.

Danka: Ich habe oft daran gedacht, was die Leute in anderen Ländern an unserer Stelle tun würden. Ich muß gestehen, daß ich all diese Bombardierung aus Deutschland mit anderen Augen betrachte als zu Hause.

Wie?

Danka: Zu Hause dachte ich weniger an diese Bombardierung, ich dachte viel mehr darüber nach, warum es zum Scheitern einer politischen Lösung kommen mußte. Hier fürchte ich, daß viele in der Welt das alles schwarz-weiß betrachten. Da fühle ich mich ganz klein. Aber ich frage auch: Warum haben die anderen sich nicht mehr bemüht, eine wirkliche Lösung zu finden. Es gibt immer zwei Seiten. Ich bin gegen Gewalt und Waffen.

Sind Sie auch gegen Milosevic?

Danka: Ich bin für den besseren Lebensstandard. Wer mir das ermöglicht, interessiert mich nicht. Jetzt habe ich einen schlechten Lebensstandard.

Jelena: So denken sehr viele Menschen. In den letzten zehn Jahren hat sich viel verändert. Wir Lehrer haben früher elfhundert Mark verdient – und wir waren schon schlecht bezahlt. Jetzt verdienen wir zweihundert Mark.

Danka: Ich möchte einmal einfach nur leben, ohne an Politik zu denken. Das ist mein großer Wunsch.

Finden Sie es fair, wenn Nato-Staaten ihre Unterstützung für den Wiederaufbau Serbiens an die politische Demontage Milosevics knüpfen?

Jelena: Nein. Denen galt er doch als Friedensstifter nach dem Krieg in Kroatien, als Garant für Frieden auf dem Balkan. Und jetzt sagen sie, ihr müßt Milosevic in ein paar Monaten wegbekommen. Das wollen wir. Die meisten Leute haben sehr viele Probleme. Aber die Leute sind oft auch zu müde, um sich mit der Politik wirklich zu beschäftigen. Jede Maßnahme des Westens hat Milosevic bisher gestärkt oder die Arbeit der Opposition erschwert. Es ist wirklich unfair, das jetzt zu sagen, wo man Milosevic jahrelang unterstützt hat.

Danka: Wenn ich beobachte, was in den Nachbarländern geschieht, erwarte ich sowieso nicht mehr viel an Hilfe. Dort haben alle mehr erwartet, als das bißchen Freiheit, das sie bekamen – und von der wir schon immer ein bestimmtes Maß hatten. Ich war früher ein Jahr in Ostberlin, ich weiß wovon ich spreche. Naja, jetzt hat es sich bei uns sehr verschlechtert. Was den Aufbau angeht, da werden vielleicht ein paar europäische Firmen investieren. Aber ich glaube nicht daran, daß die einfachen Leute etwas davon abbekommen. Ich hoffe es aber.

Haben Sie etwas von den Protesten gegen den Krieg mitbekommen – als beispielsweise die Familienangehörigen serbischer Reservisten gegen den Krieg demonstriert haben?

Danka: Nicht aus unserem Fernsehen. Hinterher haben wir davon gehört. Auch in meiner Heimatstadt gab es ja große Proteste. Unser Bürgermeister ist im Ausland bekannt geworden.

Weil er öffentlich gegen das Regime protestiert hat und dann aus Angst vor politischer Verfolgung in den Untergrund abgetaucht ist.

Danka: Zum Beispiel. Und 90 Prozent der Bevölkerung in meiner Stadt haben ihn gewählt. Ich meine, es ist klar: Es gibt Kriegsverbrecher. Aber ich fürchte, daß jetzt alle Serben gleichgemacht werden. Nicht das ganze Volk hat gemordet. Eigenartig, jetzt wenn ich hier bin, fühle ich mich, als ob ich unser Volk entschuldigen muß.

Fragen: Eva Rhode

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