■ Um den Umbruch von der islamischen zur weltlichen Republik zu bewältigen, brauchen die iranischen Studenten Bündnispartner: Nichteinmischen verboten
Wohin driftet der Iran? Selbst der Prophet dürfte sich bei dieser Frage derzeit eine Auszeit erbitten. Klar sind nur die Alternativen: Reform oder blutige Auseinandersetzungen bis hin zum Bürgerkrieg. Die Kräftepotentiale hinter diesen Möglichkeiten sind in der zurückliegenden Woche deutlich geworden. Erst demonstrierten Zehntausende Studenten und Bürger ihren Unmut über den Status quo, dann mobilisierten die konservativen Machthaber mindestens ebenso viele Menschen, die ihre Loyalität zum System bekundeten – und ihre Bereitschaft, dafür zu kämpfen. Am Samstag lief ein Ultimatum der Studenten an die Regierung ab. Bis jetzt gibt es weder eine Reaktion noch neue Proteste. Die Studenten sind stark, aber nicht stark genug.
Zwischen den Stühlen sitzt der reformorientierte Präsident Mohammad Chatami. Vor zwei Jahren hatte ihn überraschend eine überwältigende Mehrheit der 67 Millionen Iraner gewählt. Sein Wahlkampfversprechen war so einfach wie verheißend: ein bißchen mehr Freiheit. Heute fällt die Bilanz ernüchternd aus: Der Präsident hat sich im Machtkampf mit seinen Gegnern verschlissen. Stück für Stück versuchte er, die Konservativen aus den Machtapparat zu verdrängen. Setzte das von Konservativen dominierte Parlament einen seiner reformistischen Minister ab, bestimmte er milde lächelnd einen weiteren Reformer zum Nachfolger.
Doch für die Bürger der Islamischen Republik brachten diese Erfolge wenig. Noch immer herrscht im Iran keine Rechtssicherheit. Noch immer kann eine mißliebige Zeitung von heute auf morgen mit fadenscheinigen Argumenten verboten werden. Noch immer kann ein unterbezahlter Revolutionswächter ein händchenhaltendes Paar festnehmen oder – lukrativer – ihm ein Bakschisch abpressen.
Die Ereignisse der letzten Woche haben gezeigt, daß das Vertrauen vieler Iraner in den Präsidenten geschwunden ist. Zwar trugen noch immer Studenten bei ihren Protesten Porträts Chatamis vor sich her – doch gleichzeitig stellten sie die Rolle des Präsidenten in Frage. Eines der Angriffsobjekte war das Teheraner Innenministerium. Einige Studenten bliesen zum Sturm auf das Gebäude. Dessen Hausherr ist ein Verbündeter des Präsidenten. Wenn Chatami sich nicht durchsetzen könne, dann solle er doch sein Amt aufgeben, lautet die Botschaft. Was danach käme, heißt wohl in der Konsequenz: Abschied von der Islamischen Republik, dem einst von Revolutionsführer Ajatollah Chomeini geschaffenen ersten islamistischen Staat der Welt.
20 Jahre danach ist die islamistische Ideologie weltweit gescheitert. Bis heute hat es kein von politisierten Muslimen regierter Staat geschafft, seine Bewohner zufriedenstellend zu ernähren. Die einst – zum Teil mit massiver Unterstützung westlicher Mächte – unter dem grünen Banner angetretenen Kämpfer sind zu Diktatoren und Terrorsponsoren verkommen. Der politische Islam ist immer nur dann stark, wenn eine Bevölkerung mit dem Rücken zur Wand steht. Das gilt genauso für Algerien wie für Afghanistan oder Iran.
Heute heißt die Alternative von Marokko bis zum Hindukusch: weltlicher Staat. Doch solange das westliche Ausland Diktatoren unterstützt, nur weil sie vorgeblich „Fundamentalisten“ im Zaum halten, werden diese an Zuspruch gewinnen. „Der Westen“ taugt angesichts seiner Nahostpolitik noch immer als perfektes Feindbild.
Um den Umbruch von islamischer zu weltlicher Republik zu bewältigen, brauchen die iranischen Studenten Bündnispartner. Zwar gingen auch anno 1979, zu Zeiten der Islamischen Revolution, die Proteste vom Campus aus. Doch nur eine breite Bürgerbewegung konnte damals den Schah stürzen. Auch heute gibt es Anzeichen für eine Solidarisierung mit den Studenten. In Teheran gingen längst nicht nur Hochschüler auf die Straße, sondern auch einfache Bürger. Die katastrophale wirtschaftliche Lage dürfte ihren Unmut gestärkt haben. In den vergangenen Jahren protestierten Arbeiter in den verarmten Vorstädten Teherans gegen schlechte Lebensbedingungen, Mangel an Arbeit, fehlendes fließendes Wasser und fehlende Busverbindungen. Viele Iraner haben zwei bis drei Jobs, um ihre Familie zu ernähren. Dabei könnten sie reich sein: Millionen Barrel Öl sind unter der Erde. Daß daraus kein Profit gemacht wird, ist nicht nur Schuld des Ölpreises, sondern auch Mißwirtschaft unter dem Titel „islamisch“.
Dennoch sollte die Bedeutung der Religion in dem Land nicht unterschätzt werden. Die meisten Iraner sind sehr gläubig – auf eine volkstümliche Art, vielleicht vergleichbar mit dem praktizierten Katholizismus in bayerischen oder westfälischen Ortschaften. Intellektuelle, laizistische Revoluzzer sind ihnen nicht geheuer. Im Zweifelsfall orientiert man sich da lieber an dem örtlichen Mullah, der schiitischen Antwort auf den Dorfpfarrer. Säkular orientierte Menschen, wie die im inzwischen halbwegs tolerierten Schriftstellerverband, sind Randgruppen. An dieser Sozialstruktur könnten die Studenten scheitern. Schon der Schah wurde gestürzt, weil er den religiösen Charakter seines Landes unterschätzt hatte.
Viele der protestierenden Studenten entstammen dem religiösen Milieu. Schon deshalb stellen sie den islamischen Charakter Irans nicht in Frage, wohl aber das Prinzip des „welajat-e faqih“, der Statthalterschaft der Rechtsgelehrten und damit die Grundlage der von Chomeini eingeführten Theokratenherrschaft. Der „satanische“ Einfluß des heimlich geschauten Satelliten-TV ist erheblich geringer, als von den Konservativen gern vorgeschützt: Hauptangriffsziel der Studenten ist der Religiöse Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, der Nachfolger des Revolutionsführers Chomeini. Das allein ist bereits eine Revolution – ein Frontalangriff gegen Chomeinis Gottesstaat. Die Alternativen dazu sind klar. Doch so oder so: Der Iran wird nach der vergangenen Woche keine Islamische Republik im Sinne ihres Gründers bleiben – wohl aber ein islamisches Land.
Eines verbietet sich angesichts dieser Sachlage: Nichteinmischung von außen. In den letzten Tagen sind Hunderte, vielleicht Tausende Demonstranten festgenommen worden. Ihre Häscher würden sie am liebsten stillschweigend um die Ecke bringen. Doch der Iran ist wirtschaftlich und politisch vom Ausland abhängig. Deutschland ist noch immer einer der wichtigsten Handelspartner der Islamischen Republik. Spätestens im Herbst wird Chatami in Bonn und Berlin erwartet. Diplomatisch verklausulierter Druck hat in der Vergangenheit schon einigen iranischen Dissidenten das Leben gerettet. Das weiß nicht nur der iranische Regierungschef, das wissen auch seine Gegner, und das weiß hoffentlich auch die rot-grüne Bundesregierung. Thomas Dreger
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