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Feenkriege und Auffahrunfälle ■ Von Ralf Sotscheck
Die irischen Verkehrsplaner hatten mit allem gerechnet, nur nicht mit Eddie Lenihan. Weil Irland sich seit Jahren im rasanten Wirtschaftsaufschwung befindet, gibt es immer mehr Autos. Deshalb müssen Umgehungsstraßen her, damit die Blechlawine nicht in den kleinen Innenstädten steckenbleibt. Newmarket-on-Fergus in der Grafschaft Clare zum Beispiel: 100 Millionen Pfund soll die Umgehungsautobahn kosten, der Staat hatte bereits die zu asphaltierenden Wiesen aufgekauft.
Da trat Eddie Lenihan auf den Plan. Von Beruf ist er story-teller, und wenn er seine Geschichten von Feen und Dämonen erzählt, zittert sein mächtiger Backenbart. Früher war er Beamter und sollte die verschiedenen irischen Dialekte für das Folklore-Ministerium aufzeichnen. Doch schon nach kurzer Zeit fand er, daß die Geschichten, die ihm die alten Leute auf dem Land erzählten, viel interessanter waren als die Dialekte, in denen sie sprachen. Da hängte er seinen Job an den Nagel und machte sich daran, Geschichten und Märchen für die Nachwelt zu bewahren. Und er setzt sich für die Wohnorte ihrer Protagonisten ein.
In Newmarket-on-Fergus sollte ein Feenbusch der neuen Straße weichen. Lenihan protestierte: Der „Sceach“, wie er im Irischen heißt, sei der Treffpunkt für die Feen aus Kerry im Südwesten Irlands, wenn sie auf ihrem Weg in die Provinz Connacht sind, um gegen die dortigen Feen zu kämpfen. „Unter dem Busch halten die Kerry-Feen Kriegsrat und besprechen ihre Taktik für den nächsten Angriff“, sagt Lenihan, und er kann es beweisen: Das Gras um den Busch herum sei regelmäßig mit dem weißen Blut der Feen bedeckt. Als sei es nicht schlimm genug, daß sich die Iren im Nordosten der Grünen Insel untereinander befehden, in der irischen Anderswelt scheint es genauso zuzugehen. Und das schon seit Jahrhunderten. Wäre es nicht Zeit für einen neuen Friedensprozeß? Vielleicht machen sie den britischen Premierminister Tony Blair ja zum Erlkönig.
Der Busch sei jedenfalls ein heiliger Ort, meint Lenihan. „Und er kann nie mehr zu einem normalen Ort werden, auch wenn man den Busch abreißt.“ Das wäre außerdem höchst leichtfertig: Falls der „Sceach“ zerstört würde, käme es mit Sicherheit zu vielen tödlichen Unfällen auf der Umgehungsstraße. „Wenn man in zehn Jahren eine Statistik aufstellte, würde man merken, daß die Zahl der Unfälle weit über dem Durchschnitt läge“, sagte er.
Das wollten die Verkehrsplaner natürlich nicht. Sie schickten ihren Architekten Tom Carey, um den Dornenbusch zu begutachten. Ja, sieht ganz wie ein „Sceach“ aus, meinte auch der und änderte die Baupläne: Die Straße wird nun einen Bogen um den Busch machen. Bei den Planierarbeiten wird man darauf achten, daß die Bagger gebührenden Abstand halten.
Eddie Lenihan war erleichtert: „Ich bin froh, daß die Leute zur Vernunft gekommen sind.“ Er glaubt, daß man den Feenbusch touristisch vermarkten könne, die Zahl der Besucher in der Grafschaft Clare werde sich mit Hilfe der Feen schlagartig erhöhen. Die Zahl der Zusammenstöße vermutlich auch: Wenn die Touristen auf der Autobahn in die Bremsen steigen, um die Feen kämpfen zu sehen, werden die statt dessen am Straßenrand stehen und sich über die Auffahrunfälle amüsieren.
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