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Malaysias Schwule werden selbstbewußter

Im Machtkampf zwischen Premier Mahathir Mohamad und seinem Ex-Vize Anwar Ibrahim wurde Homosexualität zur Waffe und zeigte Malaysias Schwulen, daß sie stärker für ihre Rechte kämpfen müssen   ■  Von Jutta Lietsch

Bangkok (taz) – Jonas erinnert sich noch genau an den Schrecken, der ihn im vergangenen September durchfuhr: „Jetzt müssen wir uns vorsehen“, dachte sich der 32jährige homosexuelle Schauspieler aus Kuala Lumpur. Grund für die Angst: Im Machtkampf zwischen Premierminister Mahathir Mohamad und seinem langjährigen Protegé und Vize Anwar Ibrahim hatte der Regierungschef die Entlassung seines Stellvertreters vor allem damit begründet, dieser sei homosexuell. „Moralisch nicht tragbar“, lautete das vernichtende Verdikt.

Als die regierungsnahen Medien kurz darauf genüßlich und ungewöhnlich detailliert die Geständnisse des 38jährigen Adoptivbruders und eines älteren Freundes des gestürzten Politikers über dessen vermeintliche Affären druckten, war die malaysische Öffentlichkeit tief schockiert und die Schwulengemeinde am Rande einer Panik.

Plötzlich schien Homosexualität zur Waffe im politischen Konflikt des südostasiatischen Landes geworden zu sein, dessen schwule Szene bislang weitgehend unbehelligt leben konnte. Jonas: „Wir waren völlig überrascht, weil Malaysia eigentlich zu den toleranteren Ländern der Region zählt.“

Die staatlichen malaysischen Gesetze und die – nur für die muslimische Bevölkerungsmehrheit geltenden – religiösen Shariah-Vorschriften verbieten zwar „unnatürliche sexuelle Praktiken“ wie Oral- oder Analverkehr. In der Praxis aber wurden diese Paragraphen selten angewandt: „Erwachsene homosexuelle Paare standen bis zum Anwar-Skandal niemals vor Gericht“, sagt Rechtsanwalt Sivarasa Rasiah. Bestraft wurden bisher nur Beziehungen zu Minderjährigen oder Vergewaltigungen.

Für diese „Toleranz“ bezahlen die malaysischen Homosexuellen allerdings einen Preis. Anders als im Westen wurden sie politisch nicht aktiv. Über den Fall Anwar will sich kaum jemand interviewen lassen. Die Angst, politisch auffällig und damit angreifbar zu werden, ist groß. Jonas: „Wir haben keine politische Schwulenbewegung.“ Allenfalls engagierten sich Malaysias Schwule in einer der Aidshilfe-Organisationen wie „Pink Triangle“. Der liberalen Tochter des Premiers, der Journalistin Marina Mahathir, hatten die Schwulen viel zu verdanken. Sie führt seit einigen Jahren den nationalen Aids-Rat an.

In Kuala Lumpur konnte sich in den letzten Jahren eine bunte und moderne Szene entwickeln. Schwule treffen sich in Bars wie dem bekannten „Liquid“, in mindestens fünf einschlägigen Saunen und in mehreren Diskos. Dennoch führen viele Homosexuelle ein Doppelleben, vor allem auf dem Lande. Der Mitarbeiter einer Aidshilfegruppe, der seinen Namen nicht nennen will: „Der Druck der Familien ist groß, die meisten heiraten und leben dann mehr oder weniger bisexuell.“

Gebannt verfolgen Malaysias Schwule in diesen Tagen den jüngsten Akt eines bizarren Dramas, das im Obersten Gerichtshof von Kuala Lumpur, einem anglo-maurischen Kolonialbau im Zentrum, spielt. Der 51jährige Anwar, der im April in einem ersten Prozeß bereits zu sechs Jahren Haft wegen Amtsmißbrauchs zur Vertuschung angeblicher sexueller Vergehen verurteilt worden war, ist nun wegen „Sodomie“ angeklagt.

Die Staatsanwaltschaft wirft Anwar vor, er habe – zusammen mit seinem Adoptivbruder Sukma Dermawan – wiederholt homosexuelle Kontakte zum früheren Chauffeur der Familie gepflegt. Anwar, Familienvater mit sechs Kindern, streitet die Vorwürfe heftig ab und wirft der malaysischen Justiz vor, sich zum willfährigen Instrument einer politischen Verschwörung Mahathirs zu machen. Wird er verurteilt, muß er mit einer neuen Strafe von bis zu 20 Jahren Haft und Stockhieben rechnen.

Die bislang vom Staatsanwalt vorgelegten Beweise scheinen wenig glaubwürdig: Zwei der wichtigsten Zeugen haben ihre Aussagen schon lange vor Beginn des Anwar-Verfahrens zurückgezogen. Sie erklärten, ihre Geständnisse seien von der Polizei erzwungen worden.

Anderes Beispiel für die Fragwürdigkeit des Verfahrens: Anwars Anwälte wiesen nach, daß eine angebliche sexuelle Begegnung mit dem Chauffeur im Mai 1992 gar nicht möglich war, weil der genannte Treffpunkt, die Tivoli-Villen bei Kuala Lumpur, damals noch gar nicht fertiggestellt waren. Elisabeth Wong von der Menschenrechtsorganisation Suaram: „Alle Malaysier wissen, daß es nur um Politik geht, und deshalb interessieren die sexuellen Vorwürfe gegen Anwar inzwischen niemanden mehr.“ Als besonders eifrige Politiker der Regierungspartei eine „Freiwillige Anti-Homosexuellen-Bewegung“ (Pasrah) gründeten und ankündigten, sie wollten gegen die Ausbreitung der „unmoralischen und gesundheitsschädlichen“ Tendenzen kämpfen, „kümmerte sich einfach keiner darum“, berichtet Wong. Die „Bewegung“ löste sich nach wenigen Tagen wieder auf.

Für den Schauspieler Jonas ist der Prozeß gegen Anwar eine Lehre für die Zukunft: „Wir müssen uns mehr engagieren.“ Er und eine kleine Gruppe von Kollegen in der Künstlergruppe APA organisieren Lesungen, spielen Sketche und veranstalteten einige Male Happenings auf der Straße, in Cafés und Kneipen, um „die Leute aufzurütteln, daß zum Recht, sich frei zu entfalten, auch die freie Wahl des Liebhabers gehört“.

Am Ende hat der von Regierungschef Mahathir – der Homosexualität gern als vom Westen importierte Dekadenz bezeichnet – initiierte Prozeß gegen Anwar eine völlig unerwartete Folge: Die Schwulenkneipen in Kuala Lumpur sind voller denn je. Leute, die es früher nie gewagt hätten, zeigen sich händchenhaltend mit ihren Freunden und küssen sich sogar in der Öffentlichkeit. Jonas: „Es scheint, als ob ein Ruck durch die Gemeinde gegangen ist und viele sich sagen: Jetzt erst recht!“

Es ist noch ein weiter Weg, bis Homosexualität halbwegs anerkannt ist. Ein islamisches Gericht hat jetzt 23 Transvestiten zu Geldstrafen von 400 bis 800 Ringgit (190 bis 380 Mark) verurteilt. Männer, die Frauenkleidung trügen, beleidigten den Islam, urteilte der Richter in der Stadt Alo Setar. Gegen acht weitere Transvestiten, die nicht zur Verhandlung erschienen waren, erging Haftbefehl. Die Verurteilten waren im Mai 1998 während eines Schönheitswettbewerbs im Bundesstaat Kedah festgenommen worden. Sie seien alle Muslime und hätten außer Frauenkleidung auch Make-up getragen.

Homosexualität wurde bisher geduldet, weil die malaysische Schwulenbewegung darauf verzichtete, politisch zu seinKuala Lumpurs Schwulenbars sind voller denn je. Leute, die es früher nie gewagt hätten, küssen sich jetzt öffentlich

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