: Auch Oli U. hat einen Fanklub
Der SSV Ulm bereitet sich auf ein öffentliches Leben in der Fußball-Bundesliga vor. Das ist nicht einfach, wenn man jahrelang ungestört wurschteln durfte ■ Aus Ulm Thomas Becker
Zum Beispiel Oliver Unsöld: Seit er fünf ist, kickt er fast ununterbrochen für den SSV Ulm 1846, in der vorletzten Saison noch in der zweiten Mannschaft, Landesliga. Bis vor kurzem hat Unsöld (25) noch Karten fürs Olympiastadion gekauft: Bayern gucken. Wenn er jetzt Effe und Lothar sehen will, muß er nicht mehr so weit fahren: Am 6. November reisen sie zum Bundesligaspiel an.
Seit einer Autogrammstunde im benachbarten Dietenheim gibt es sogar einen Oli-Unsöld-Fanklub. Starkult läßt Trainer Martin Andermatt beim Überraschungs-Bundesligisten aber erst gar nicht aufkommen. Beim Trainingsspiel gegen den VfB Stuttgart (0:1) saß der verletzte Unsöld mit Gipsfuß auf der Tribüne und kritzelte konzentriert die Spielstatistik auf einen Block. Einer wie Giovane Elber würde sich da bedanken; der nimmt sich sogar raus, die kaputten Bänder lieber im sonnigen Brasilien heilen zu wollen.
Der SSV Ulm versucht sich derzeit an einer großen Aufgabe: sich auf das Unternehmen Bundesliga vorbereiten und doch der bodenständige Klub der vergangenen Jahre bleiben. Während Andermatt im Trainingslager am Kader feilt, schwitzen auch die Mitstreiter zu Hause in Ulm.
Erich Steer ist für den sportlichen Bereich zuständig: Verträge mit den Aufsteigern und mit neuen Spielern aushandeln, Trainingsbedingungen optimieren. Peter Assion kümmert sich neuerdings um die Abteilung Marketing, betreut die treuen Klein- und Kleinst-Sponsoren, integriert neue Geldgeber im „Klub der hundert Spatzen“. Fünf Jahre lang trugen beide das Ulmer Trikot, damals noch in Liga zwei. Nun mühen sie sich mit einem Etat von weniger als 20 Millionen Mark, ihren Verein fit zu machen für die erste Liga, Strukturen zu schaffen, um dort zunächst überhaupt existieren zu können.
Das fängt bei der Geschäftsstelle an. Dort jemanden ans Telefon zu bekommen war zuletzt fast unmöglich. Der Aufstieg war noch nicht perfekt, da waren schon Tausende Kartenwünsche eingegangen. Eine Tageszeitung übernahm den Kartenverkauf. Auf seinen Internetseiten warnte der Verein: „Falls Sie Vereinsmitglied werden wollen, müssen Sie leider bis nächste Woche warten. Eine enorme Eintrittswelle legt gerade die Geschäftsstelle lahm.“
5.000 haben es mittlerweile doch geschafft einzutreten. Fast drei Viertel der knapp 20.000 Dauerkarten sind vergeben. Die Region lechzt eben wirklich nach Erstliga-Fußball. Die Zahl der Fanklubs stieg im letzten Jahr von fünf auf 50. Ein Fan-Shop eröffnet am 8. August, prominent plaziert am Münster-Platz. Das Einzugsgebiet ist enorm: Nach Osten mehr als hundert Kilometer bis München, im Nordwesten fast ebenso weit bis Stuttgart, in der Längsachse kommt lange nichts, und dann im Süden der FC St. Gallen. Der Bau der Gegentribüne kam gerade zur rechten Zeit. Mobile Tribünen sollen nun noch 5.000 Plätze mehr bringen; wenn alles klappt, schon zum ersten Spiel gegen Freiburg.
Eine Videowand wird installiert. Nebenan auf der Gänswiese, wo 20.000 vor sechs Wochen den Aufstieg feierten, entsteht ein neuer Trainingsplatz mit Kunstfasern und Rasenheizung. Die Geschäftsstelle wächst: Über dem Biergarten des vereinseigenen Freibades, auf dessen Gelände sich die Räume befinden, werden Bürocontainer aufgestellt. Wer dort hin will, muß der Frau an der Kasse allerdings glaubhaft versichern, daß er nicht schwimmen geht. Einen Pressesprecher wird es auch irgendwann geben.
Allerdings kann man den Eindruck gewinnen, daß dem engen Ulmer Führungszirkel der neuerliche Presserummel gar nicht so recht ist. Jahrelang war man gewohnt, relativ ungestört und in Ruhe zu arbeiten. Das wird nun anders werden. Martin Andermatt hat seinen Spielern Medientraining verordnet. „Jeder muß abschätzen können, was er sagt. Auf jeden Fall nichts, was dem Arbeitgeber schadet.“ Andermatt selbst beherrscht das schon ganz gut. Der Schweizer schwätzt nicht, er redet: langsam, besonnen, sehr vorsichtig. Wen er sich noch zum Kader dazuwünscht? „Ich wünsche mir nichts.“ Wie er die Chancen auf den Klassenerhalt einschätzt? „Wir sind nicht leicht auszurechnen. Und lernfähig.“
Für die schon in der zweiten Liga etwas wackelige Defensive hat er allerdings Routiniers verpflichtet: Abwehrchef Uwe Grauer (29), Rainer Scharinger (32) und für die linke Außenbahn Janos Radoki (27), mit einer Million Mark Ablöse der teuerste Spieler der Vereinsgeschichte. Die Nummer neun trägt neuerdings Hans van der Haar, der in der Ajax-Jugend mit Seedorf, Litmanen und Kanu kickte. Sein erster Satz, als er das Donaustadion sah, war: „Hier verlieren wir kein Heimspiel.“
Da harmoniert er gut mit Sturmpartner Dragan Trkulja. Der hatte in den vergangenen Jahren stets versprochen: ,Ich schieße so viel Tore, wie wir zum Aufstieg brauchen.“ Diesmal mußte er nur ein Wort austauschen: statt Aufstieg Nichtabstieg.
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