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Dinge, Sachen, Zeugs und Sonnenblumen

■ „Die Feinen Herren“ erfinden im Jungen Theater zum zweiten Mal einen Musikstil

In den Liedern der Feinen Herren spiegelt sich die ganze Welt, und die besteht, wie jedermann weiß, vorzugsweise aus Kartoffeln, Teesieben und Regenwürmern (übrigens lauter gute alte Bekannte des letztjährigen Programms der Feinen Herren). Regenwürmer: Jeder einfühlsame Mensch mit elementarer Germanistikbildung wird angesichts dieser feuchtfröhlichen und verschlungenen Angelegenheit sofort erkennen, dass es in Wahrheit bei den Feinen Herren nicht um Dinge, Sachen und Zeugs geht, sondern um das Eine, um die Liebe. Und die ist süß und bitter. Ist es nicht zum Haareausraufen traurig, wenn sich unschuldige Frauen (die auch schon im letzten Programm im worst-TotalGAU-case „Sabine“ hießen) die grauenhaftesten Liebesbeschwörungen ihrer Männer anhören müssen? Und ist es nicht entzückend, wenn ein sanfter Schweiger seine Nachbarin liebt bis in den (und zwar ihren) Tod hinein? (Achtung Bremer Frauen: Aus gesundheitlichen Gründen sollte es vermieden werden, eine Wohnung neben einem der Feinen Herren zu beziehen. Die inkriminierten Adressen sind in der taz-Redaktion vertraulich zu erfragen.)

Und weil die Liebe also süß und herb ist, kommen als Feiner-Herr-Kultgetränk eigentlich nur zwei Dinge in Frage: entweder Motoröl vermischt mit purem Sacharin oder Campari. Weil Campari entschieden sexyer aussieht entschieden sich die Feinen Herren für Campari. Sie besingen ihn aber nicht nur, sondern führen ihn nach ihren Konzerten tatsächlich und wahrhaftiglich in ihre Mundöffnungen ein: Ein Beweis für die bedingungslose Glaubwürdigkeit dieser Menschen.

Der Feine Herr H.C.Klüver trägt seine natürliche Haarpracht so, daß man sie für eine Perücke hält. Will heißen: Wenn man daran zieht, schreit es aus ihm. Menschen, die keinen Wert auf die Natürlichkeit ihrer Haarpracht legen, legen auch keinen Wert auf die Erkennbarkeit ihrer musikalischen Talente. (Dies ist ein sogenannter logischer Spiralzirkelschluß.) Schließlich kann jeder Idiot fantastisch Klavier spielen. Horowitz konnte es, Friedrich Gulda und Ivo Pogorelich können es. Mark Scheibe kann es auch.

Aber mindestens ebensoviel Spaß macht es ihm, wohlverstimmt in Blechgerätschaften hineinzublasen. Höhepunkte im Konzert aber bahnen sich an, wenn Jan Fritsch aus seinen Tiefschläfen mit offenen Augen erwacht, tagträumend wie Stan Laurel gen Boden greift, mal eine Schnur mit gar mannigfaltigen kleinen Bimmeleien, mal eine ausgewachsene Kuhglocke zu fassen bekommt und dann – unbekümmert um den musikalischen Zusammenhang – ein paar schamhafte Klänge zum Besten gibt.

Um ihn in diesen erleuchteten Zustand zu versetzen, wird ihm – nach offizieller Auskunft Mark Scheibes – vor jedem Konzert eine Schachtel Valium eingeflößt. Bei Fritschens Hendrix-Imitation lassen sich durch diesen ärztlichen Kunstgriff alle ekstatischen Zuckungen ganz genau wie in Zeitlupe studieren.

Seit einer Geburtstagsfete in der zweiten Grundschulklasse – so geht ein Gerücht – sitzen die drei Feinen Herren (einstmals: die Feinen Knaben) allabendlich zusammen, im Bestreben den Musikstil auszuwürfeln: Soll es Tango sein? Boogie? Jazz? Chanson? HipHop? Bislang erzielten sie immer ein Patt, Abend für Abend, was eine fröhliche stilistische Unordnung in mancher Melodei zur Folge hat. Ein Zustand, den die Feinen Herren durch zerknirschte Körperbeflaggung mittels schwarzer Krawatten zum Ausdruck bringen. Alle? Nein, Mark Scheibe trägt sein Hemd offenherzig, denn die Welt hat es verdient, diese filigran ziselierte Brustbehaarung zu sehen. Und fünf Sonnenblumen nicken ihm deshalb im Ventilatorwind freundlich zu. So bleibt als bitterer Nachgeschmack dieses ansonsten erheiternden Abends nur folgende Vermutung: Wahrscheinlich sind Herr Klüver und Herr Fritsch nicht im Besitz eines schönen Brusthaars. bk

Junges Theater, 6. August, 22 Uhr; 7. und 8. August, 20.30 Uhr; 9. und 10. August, ebenfalls im Jungen Theater „Die kleine schmutzige Band“ unter Mitwirkung Herrn Scheibes. Da die Konzerte am 8., 9., 10. August von Radio Bremen aufgezeichnet und später auf CD gebrannt werden, sind Besucher mit Willen zur Mitgestaltung aufgefordert, ihre handverfertigten Gedichte aus der Schulzeit mitzubringen und zum Besten zu geben. Nur Mut!

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