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■  Der Sonntag ist der Tag der „Arbeitsruhe und seelischen Erhebung“. So steht es im Grundgesetz. Doch die Warenhauskonzerne, allen voran der Kaufhof, versuchten sich als Avangardisten einer Konsumrevolution. Der Angriff auf den arbeitsfreien Sonntag ist gescheitertAm siebten Tage sollst du ruhen

Der Kaufhof-Konzern, in der vergangenen Woche gesamtdeutscher Avantgadist bei der Beseitigung des arbeitsfreien Sonntags, hat den Kopf eingezogen und bläst zum geordneten Rückzug. Hatte Günther Biere, Geschäftsführer der Kaufhof-Filiale Berlin-Alexanderplatz noch am Mitwoch erklärt, der Ansturm der Kunden am nächsten Sonntag werde Beweis des Protests gegen das Ladenschlussgesetz sein, so enthielt er sich zwei Tage später jeder konsumrevolutionären Kraftmeierei. Auf gar keinen Fall werde man geltendes Recht antasten.

Für den Gesinnungswandel sorgte nicht nur ein Entscheid des Berliner Verwaltungsgerichts, das Bieres Ideee, auf jedes am Sonntag feilgebotene Produkt die Bezeichnung „Berlin-Souvenir“ zu kleben, als durchsichtiges Manöver zur Umgehung geltenden Rechts bezeichnet hatte. Der Einspruch des Kaufhofs gegen dieses Urteil wurde gestern vom Oberverwaltungsgericht abgelehnt. Es meldeten sich auch hohe und höchste Inhaber von Staatsämtern zu Wort. Bundespräsident JohannesRau warnte, neue Fakten zu schaffen „indem geltendes Recht ausgehöhlt oder offen verletzt wird“ und statuierte: „Solange kein neues Gesetz beschlossen ist, gilt das alte und daran müssen wir uns alle halten.“ Gestern schloss sich die Justizministerin dieser Predigt wider die Verlotterung der Sitten gegenüber dem Rechtsstaat an.

Tatsächlich hatte der Umgang einer Reihe von Warenhauskonzernen wie von Landesregierungen mit dem Ladenschlussgesetz in den letzten Wochen wenig mit Gesetzesanwendung, dafür aber viel mit systematischern Dehn- und Streckübungen an der Rechtsmaterie zu tun gehabt. Erst schützte Sachsen „dringendes öffentliches Interesse“ vor, um seinen Kommunen freie Hand zu lassen. Die Dringlichkeit sah der Freistaat dadurch gegeben, dass Sachsen an Polen grenze, wo man zwar katholisch sei, aber den Sonntag dennoch nicht heilige. Sachsen-Anhalt wiederum machte sich das geografische Argument zunutze, an Sachsen anzugrenzen. Berlin erklärte per Verordnung die Innenstadt zur touristischen Zone und Mecklenburg-Vorpommern hatte sowieso schon seit 1992 flächendeckend von seiner Eigenschaft als seen- und meerumspültes Territorium Gebrauch gemacht. Unisono wurde die systematische Durchlöcherung des erst 1996 liberalisierten Gesetzes außerdem damit gerechtfertigt, dass es sowieso im Herbst fallen werden. Dafür werde eine Initiative Berlins im Bundesrat sorgen.

Im ersten, siegesgewissen Überschwang hatte sich der Vorstandsvorsitzende der Kaufhof AG, Lovro Mandac, sogar mit seinem geistlichen Oberhirten, dem Kölner Kardinal Meisner angelegt. „Herr Meisner beschäftigt doch auch sonntags Priester. Die bieten den Menschen auch Service. Wo ist der Unterschied“? Das hieße, so Christoph Heckeley vom Generalvikariat gegenüber der taz, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Schließlich bedeute Gottesdienst die Feier für Gottes Dienst am Menschen. „Der Mensch“, so der Kardinal, „feiert am Sonntag gemeinschaftlich seine Gottesebenbildlichkeit und seine Teilhabe an der Souveränität und Freiheit Gottes.“ Gottessouveränität versus Konsumentensouveränität, da hatte sich Mandac auf ein für ihn schwieriges Gelände begeben.

Noch stehen etliche Gerichtsurteile aus. Die Anwälte des Konzerns zeigten der Presse eine noch nicht eingesetzte Waffe vor: Das Ladenschlussgesetz sei verfassungswidrig, denn es verzerre den Wettbewerb und behindere die Gestaltungsfreiheit der Unternehmen. Mit dem Grundgesetz operieren allerdings auch die Verteidiger des arbeitsfreien Sonntags. Sieht doch der Artikel 139 der Weimarer Verfassung, der mit allen anderen kirchenpolitischen Bestimmungen ins Grundgesetz aufgenommmen wurde, den Sonntag als Tag „der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“ vor. Nun könnten konsumfreundliche Kommentatoren argumentieren, „seeliche Erhebung“ stelle sich gerade ein, wenn der sonntägliche Einkäufer „die Kathedralen des Konsums“ betrete. Aber eine solche zeitgenössische Auslegung reibt sich an der Bestandsgarantie des Artikels139. Der, so altehrwürdige wie neueste Kommentatoren, statuiere zwar weder, dass am Sonntag überhaupt nicht gearbeitet werden dürfe, noch öffne er ein einklagbares Grundrecht. Aber ganz abschaffen oder umwidmen kann man ihn nicht. Genau der Weg zur vollständigen Abschaffung werde aber mit der Durchlöcherung beschritten. So zumindest der Ex-Justizminister und evangelische Würdenträger Jürgen Schmude (SPD).

Im allgemeinen Hauen und Stechen ist bislang ein Vorschlag des Arbeitswissenschaftlers Ullrich Mückenberger untergegangen. Er hat schon vor geraumer Zeit angeregt, nach italienischem Vorbild auf der kommunalen Ebene „Runde Tische“ einzuberufen, die Fragen wie die des Ladenschlusses im Komplex und unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Kräfte und deren unterschiedlicher Zeitpräferenzen beraten könnten. Dass ein Konsens zugunsten der großen Warenhauskonzerne ausfallen würde, ist aber unwahrscheinlich. Christian Semler

Die Priester arbeiteten doch auch sonntags, sagte Kaufhof-Chef Lovro Mandac im ersten siegesgewissen Überschwang

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