: Viertel-Gesicht im www
■ Die Idee ist nicht ganz neu: Ein Verein bastelt am angeblich ultimativen Internetauftritt für das Viertel / Optimistische Prognose: Das „ViertelNET“ wird mal „sowas wie AOL“
Mangelndes Selbstbewusstsein kann man Angelina Trichilo nicht vorwerfen. Die Studentin engagiert sich beim ViertelNET(T) e.V., einer Truppe, die im Internet die ultimative Viertelseite schaffen will. „Sowas wie AOL“ soll das Viertel-WEB mal werden, sagt sie.
Trichilo und das Dutzend weitere Vereinsmitglieder sind nicht die ersten, die Bremens lebendigsten Stadtteil als virtuelle Kommune im Internet abbilden wollen. Wohl aber sind sie die mit den größten Plänen – hat doch das amerikanische Internetunternehmen AOL schlappe 15 Millionen Nutzer. Nur ein Promill davon wäre für das Viertel-WEB ein Riesenerfolg.
Seit dem letzten Oktober versucht der Verein auszubaldowern, wie eine virtuelle Stadtteilgemeinschaft funktionieren könnte. Das neue Netzangebot soll mit einer Einstiegsseite glänzen, von der eigene und andere Internetangebote problemlos zu erreichen sind. Die Netzaktivisten verstehen sich dabei als Lokalausgabe des offiziellen Stadtinformationssystems Bremen Online. „Im Viertel-WEB sollen die Leute Nachrichten austauschen, vieleicht einen Doppelkopfpartner oder einen Bäcker finden, der sonntags auf hat,“ sagt Mitorganisator Frank Rosenthal. „Und jeder kann hier seine eigenen Ideen umsetzen.“
Beispiele für einen ähnlichen Mix aus Präsentationsflächen für Unternehmen und privaten Internetseiten gibt es bereits, etwa beim Netzangebot der „Internationalen Stadt Bremen“ (www.is-bremen.de), auf lokaler Ebene auch bei www.vegesack.de oder www.gröpelingen.de. Im ViertelWEB soll aber mehr entstehen: ein Informationssystem, das mit Animationen, Dialog-, Spiel- und Behörden-Kontakt-Funktionen einem lebendigen Stadtteil ein virtuelles Gesicht verleiht.
Denn für Rosenthal ist klar: Die Viertelseiten, die es bis jetzt gibt, taugen nichts. Die Netzseite der Einzelhändler, die sich hinter der Netzadresse www.dasviertel.de verbirgt, ist eine Zumutung: Hinter dem kühlen Layout der Agentur „trenz“ verbirgt sich Null Inhalt. Unter der Rubrik „Aktuelles“ finden sich ein Hinweis auf das Höfenfest und kommentarlos einge-scannte Partyfotos. Dazu ein paar nicht funktionierende Verknüpfungen ins Daten-Nirvana – fertig ist die digitale Nullnummer. „So ent-blößt man sich selbst,“ sagt Rosenthal. „Keine Links zu anderen Seiten, keine Möglichkeit, interaktiv zu agieren. Die haben das Internet nicht verstanden.“ Tatsächlich kann man trenz hier nicht mal eine E-Mail schicken.
Ernüchternd ist auch ein Besuch bei www.das-viertel.de. Dort gibt es einen Flohmarkt und virtuelle Geschichtsrundgänge, das Ganze entspricht eher dem Charakter des Alternativstadtteils als die Kommerzseiten. Unter „Aktuelles“ findet sich aber auch hier gerade mal eine Ankündigung für das längst vergangene Viertelfest. Und der Flohmarkt liegt brach, weil kaum einer mitmacht.
Mit diesen Problemen wird auch das Viertel-WEB zu kämpfen haben, wenn ab dem September die ersten Seiten im Netz stehen. Bislang sind die Vereinsmitglieder voll damit beschäftigt, Kooperationspartner für das Projekt zu finden. Dann aber müssen auch die mächtigen Datenmengen laufend aktualisiert werden, damit das Internetangebot attraktiv bleibt. „Wir müssen mal schauen, wer dann was betreut. Vieleicht bekommen wir ja Mittel vom Senat,“ hofft Rosenthal.
Problem Zwei: Damit eine virtuelle Gemeinschaft entsteht, muss eine kritische Masse überwunden werden. Erst wenn genug Internet-Nutzer in den Chaträumen flirten oder Online diskutieren, steigen die übrigen ein. „Die technische Entwicklung spricht für uns,“ sagt Rosenthal. „Es gibt ja jeden Tag mehr Netzbenutzer.“
Daran hat allerdings vor viereinhalb Jahren schon die Internationale Stadt Bremen geglaubt. Die großartig designten Infoseiten sind noch heute das Anklicken wert. Das mit der virtuellen Gemeinschaft aber hat sich ISB-Chef Ralf Röber schon lange abgeschminkt.
Aber vieleicht war es 1994 zu früh für so eine Idee, und vieleicht war auch eine ganze Stadt zu unüberschaubar, um eine Online-Gemeinschaft herauszubilden, wie man beim ViertelWEB glaubt. Ein attraktiver Stadtteil im Netz könnte genau das Richtige sein, um Bremens erste virtuelle Gemeinschaft zusammen zu schweissen.
Damit ließe sich sogar die soziale Vision ein Stück weit verwirklichen, die Rosenthal mit dem Projekt verbindet: „Ob man es mag oder nicht, diese Entwicklung wird einfach immer weiter gehen. Und wir hoffen, dass wir mit unserem Angebot Leute dazu bringen, einzusteigen, damit sie später nicht zu denen gehören, die nichts von diesen Technologien verstehen.“
Lars Reppesgaard
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