■ Das Diepgen des Tages: Die braune Tonne
Wir befinden uns im Ausnahmezustand. In der Küche herrscht Schimmelkrieg! Die Chance, mit einem Schluck Apfelsaft aus dem Tetra-Pak eine letale Dosis zu erwischen, liegt sechsmal so hoch wie beim Russischen Roulette. Was einem aus dem Dunkel der Verpackung entgegenwabert, erinnert an eklige Gruselfilme: Es lebt! Und zwar hochaggressiv.
Wohin man auch blickt, wuchert schimmliger Befall: Grüngefleckt ist das Toastbrot, bavarisch mit blau-weißem Pelzbesatz zugrunde gerichtet die Leberwurst, und der Hütten-Fitness-Käse wird von natogrünen Pilzcamps und blutrot gesprenkelten Luftkeimen zersiedelt.
Verschließen Sie nicht die Augen vor diesen Schlachtfeldern! Intervenieren Sie! Andernfalls sind Sie der Kollateralschaden von morgen. Verantwortlich für den Feldzug der Pilze sind die fast tropische Hitze und der Pilzsporenträger, der unter dem Decknamen Biotonne eingeführt wurde. Das Klima können Sie nicht ändern – wohl aber die Biotonne entfernen. Sie ist das Mutterschiff der biologischen Kampfjets, der Fruchtfliegen. „Fruchtfliegen, hört her, ihr Fruchtfliegen, wir werden euch alle kriegen, ihr verdammten Fruchtfliegen!“, versprach zwar Funny van Dannen in einem seiner schönsten Lieder; Taten sind bisher aber keine gefolgt.
Und deshalb gilt: Solange Sie den brauntonnigen Schimmelreiter und sein Gefolge nicht aus Küche und Wohnung verbannt haben, sollten Sie keinen Bissen anrühren. Es droht der flächendeckende Befall durch ein Sammelsurium verschiedenster Pilzmycelien. In Nullkommanichts verwandelt die A & P-Gruppe der Gattungen Aspergillus und Penicillium Ihre Küche in eine lebensbedrohende Krisenregion.
Lassen Sie sich von propagandistisch arbeitenden Vertretern des Pinselschimmels wie Penicillium camemberti oder roqueforti oder den Penizillinbildnern Penicillium notatum und Penicillium chrysogenum keine Sporen in die Augen streuen und sich die unzähligen Giftfabriken als erfreuliche und menschenfreundliche Käse- oder Pharmaproduzenten vormachen! Schauen Sie ihrem Apfel tief in die faulenden Stellen. Hier produziert Penicillium expansum, eine Tochterfirma von A & P, das Gift Patulin mit gleich dreifacher Wirkung: Es ist erbgutschädigend, krebsauslösend und Fehlbildungen fördernd. Besonders davon betroffen ist Ihre Leber.
Nicht mehr lange auch, und Aspergillius ochraceus wütet bei Ihnen wie längst schon auf dem Balkan. Sein Gift Ochratoxin A, das vor allem über Getreide in die menschliche Nahrungskette gelangt, wird für das in Balkanländern endemisch auftretende Nierenversagen verantwortlich gemacht. Dabei sind Patulin oder Ochratoxin A aber noch harmlos im Vergleich zu dem Gift, das der Gießkannenpilz Aspergillus flavus ausschüttet.
Dieser außerordentlich anspruchslose Pilz liebt Nüsse, wächst aber auch auf Lebensmitteln wie Früchten, Getreide, Obstsaft oder Fleisch und verschmäht selbst Schinken nicht. Sein Aflatoxin ist der stärkste bisher bekannte Krebsauslöser. Die tödliche Dosis liegt bei einem bis zehn Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht. Aber auch niedrigere Dosen führen zu Leberschäden und Leberkrebs.
Doch jetzt nicht verzweifeln! Kopf hoch und wacker gehandelt! Stimmen Sie das schöne alte Kampflied „Schimmliges Brot“ von Foyer des Arts an: „Schimmliges Brot schmälert das Vergnügen, schimmeliges Brot ist selten von Vorteil.“ Und dann geben Sie die braune Tonne auf den Sondermüll, wo sie sich in guter Gesellschaft befindet, denn an täglichen Diepgens ist diese Stadt reich. Molly Bluhm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen