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Die Plastik-Terroristin trägt Windeln    ■ Von Ralf Sotscheck

Clare hat eine neue Puppe zum Geburtstag bekommen. Amazing Amy, die erstaunliche Amy, ist das „erste praktisch echte kleine Mädchen“, behauptet die Herstellerfirma Playmates Toys. In Wirklichkeit ist es ein Monster, das seine Umgebung herumkommandiert.

„Erst wollte Amy Milch, dann Saft“, sagte Clares Mutter Anne, die die Großmutter spielen musste, solange Clare in der Schule war. „Ich gab ihr Wasser, woraufhin sie mich anherrschte: Sie wolle kein Wasser, sondern Saft.“ Ignorieren ist zwecklos, weil Amy dann ihre Anweisungen mit immer lauterem Stimmchen wiederholt. Man könnte sie ertränken, sinnierte Anne, aber dann wären die 180 Mark futsch, die das Kasernenhofgirl gekostet hat.

Sensoren melden der Puppe, was mit ihr geschieht, vorausgesetzt, man benutzt das mitgelieferte Zubehör – etwa Thermometer und Medizin. Amy steckt noch in den Windeln, kann aber bereits 15.000 Sätze sagen, unter anderem: „Igitt! Meine Nase sagt mir, dass meine Windel gewechselt werden muss.“ Die herrische Puppe bestimmt auch, wann mit ihr gespielt werden darf. Abends ist sie müde und verweigert jedes Gespräch: „Ich bin schläfrig“, das ist alles, was ihr zu entlocken ist. Dafür ist sie morgens um sieben putzmunter und plärrt nach ihrem Frühstück. Die Nacht ist vorbei, Wochenende eingeschlossen.

Die blond gelockte Plastik-Terroristin wäre gut dazu geeignet, Teenagerinnen vor den Folgen einer Schwangerschaft anschaulich zu warnen. Eine einfachere Puppenversion ist dafür tatsächlich mal eingesetzt worden. Wer weiß, vielleicht gibt es Amy demnächst auf Krankenschein. Langfristig ist es wohl das billigste Verhütungsmittel: Wer eine solch anspruchsvolle Puppe hat, ist zu beschäftigt, um Leute kennenzulernen. Und ältere Mädchen, die keine Freunde und Freundinnen haben, weil sie sich in ihrer Kindheit um die missratene Puppe kümmern mussten, können demnächst eine halbstarke Version kaufen, die Herstellerfirma arbeitet bereits an „Amazing Ally“. Ob man die erstaunliche Ally dann auf Befehl ins Wirtshaus oder zu Drogenpartys schleppen muss, will Playmates Toys noch nicht verraten.

Anne hatte jedenfalls schon nach einem Tag die Nase voll von der geschwätzigen Juniorversion. „Sie ist wie ein verzogenes Kleinkind“, stöhnte die unfreiwillige Oma. „Sie nörgelt so lange, bis sie bekommt, was sie will. Sie sagt weder bitte noch danke. Clare hat bereits einige Verhaltensmuster übernommen. Wenn das so weitergeht, setze ich beide im Wald aus.“

Auf den Rücken der garstigen Puppe ist eine Notrufnummer aufgedruckt, bei der man einen Termin für eine Familientherapie machen kann. Außerdem kann man erfragen, wie man die Kleine zum Schweigen bringt – der Ausschaltknopf ist nämlich versteckt. Amy ist, man hat es geahnt, eine US-amerikanische Erfindung. Dort sind bereits 300.000 Exemplare über den Ladentisch gegangen – die Zukunft der Psychotherapeuten in den USA ist gesichert.

Das Innenleben des Mädchenmonsters wird durch Mikrochips und eine elektronische Uhr gesteuert. Noch besteht also Hoffnung für Clares Eltern: Wenn der „Millennium Bug“ Y 2 K zur Jahrtausendwende zuschlägt, verwandelt sich Amy vielleicht in eine freundliche alte Dame.

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