: Digital ist nur manchmal besser
■ Rückblick und Standortbestimmung: Das morgen beginnende Festival „Tanz im August“ verzichtet in diesem Jahr auf Neuentdeckungen, präsentiert aber erstmalig das BerlinBallett
Noch nie standen dem „Tanz im August“ so viele Bühnen offen, noch nie war das Tanzfest so prominent besetzt wie dieses Jahr. Getrost verzichtet man auf die Suche nach dem Neuen und Unentdeckten, um so etwas wie die Summe der letzten Jahrzehnte Tanzgeschichte zu ziehen. Mit Merce Cunningham und Anne Teresa De Keersmaeker rückte der Tanz in den Kontext von Minimalismus und Strukturalismus, mit La La La Human Steps und Saburo Teshigawara erreichten Energieströme und Bewegungsimpulse eine bis dahin kaum vorstellbare Virtuosität. Der Punk unter den Ballett-Tänzern, Michael Clark, hat aus den Widersprüchen zwischen Klassik und Pop eine fast schon legendenhafte Leidensgeschichte entwickelt, und Jérôme Bel und Meg Stuart begannen an der Vorstellung des Körpers als soziales Konstrukt zu arbeiten.
Sie alle sind nicht zum ersten Mal Gast des Berliner Festivals, das vom Hebbel-Theater und der Tanzwerkstatt zum elften Mal ausgerichtet wird. Ganz frei vom Gefühl eines Rückblicks und der Suche nach Standortbestimmung am Ende des Jahrhunderts ist das Programm deshalb nicht.
Zum ersten Mal allerdings wird das Festival, das 1988 nicht zuletzt gegründet wurde, um den freien Compagnien neben den subventionierten Balletten größere Bekanntheit und Anerkennung zu verschaffen, nun als Zugpferd vor das BerlinBallett gespannt. Das BerlinBallett, das sich aus den personell reduzierten und von neuen Choreographen geleiteten Ensembles der drei Berliner Opernhäuser bis 2002 bilden soll, hat bisher öffentlich noch kaum erkennbare Konturen gezeigt. Einer der Hoffnungsträger, die der Ballettbeauftragte Gerhard Brunner für das BerlinBallett gewonnen hat, ist der taiwanesische Choreograph Lin Hwai-min.
Dessen Konzept, mit alten asiatischen Mythen und östlicher Bewegungslehre eine sinnlich erlebbare Spiritualität gegen die Trennung von Körper und Geist zu mobilisieren, ist nicht ganz frei von romantischem Wunschdenken und rituellem Kitsch. Bevor Lin Hwai-min nächstes Jahr mit den Berliner Tänzern zu arbeiten beginnt, zeigt er mit seiner Gruppe aus Taipeh in der Deutschen Oper „Moon Water“, das aus den langsamen und fließenden Bewegungen des Tai-Chi zur Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach entwickelt wurde.
Kulturpolitisch ist diese erste Präsentation des BerlinBalletts als Gast von „Tanz im August“ zwar ein Anerkennungserfolg für das Festival, über den sich zu freuen nur etwas schwer fällt, weil die Wahl Lin Hwai-mins nicht so ganz nachvollziehbar ist.
Kaum eine andere Kunstform ist in diesem Jahrhundert so sehr von der Polarität Klassik und Moderne geprägt und fast zerrissen worden wie Ballett und Tanz, in Deutschland nicht zuletzt durch die institutionellen Verkrustungen der Opernhäuser. Länger als in der bildenden Kunst, Musik und Theater kamen die Erneuerungen der Tanzsprachen immer wieder aus dem Off, und das hat der Legendenbildung Vorschub geleistet.
Zum Thema wird die Auseinandersetzung zwischen der Ästhetisierung des Körpers in der klassischen Technik und seinen widerspenstigen Energien diesmal wieder bei Michael Clark aus London und La La La Human Steps aus Montreal. Mitte der achtziger Jahre wurde der kanadische Choreograph Edouard Lock bekannt für eine Bewegungsdynamik, die Sprünge, Drehungen, Läufe mit einem Moment des Kollabierens, der immer präsenten Gefahr des Absturzes zusammenbrachte. So sieht man im Moment der Höchstleistung zugleich die Anfälligkeit und Vergänglichkeit des Körpers durchschimmern. In „Salt“ bringt er diesen Stil, der dem Erfahrungshunger von Extremsportarten oder Überlebenstraining nahe stand, mit der porzellanenen Fragilität des Spitzentanzes zusammen.
Dieses Jahr wird das Thema Tanz und neue Medien in den europäischen Tanzzentren auf vielen Symposien und Seminaren verhandelt, die auch um die Möglichkeiten der technischen Erweiterung des Körpers oder der Ausdehnung seiner Wahrnehmungssensorien kreisen. Auf dem Festival werden die Strategien der digitalen Musik wie Sampling und Remixing einerseits von den jüngsten Choreographen wie Emio Greco und Jérôme Bel genutzt, auf der anderen Seite ist es der 80jährige Altmeister Merce Cunningham, dem die Möglichkeiten der Informationstechnologie keine Ruhe ließen.
Seit er vor gut fünf Jahrzehnten in der Zusammenarbeit mit Cage begann, seine Tänze nach rhythmischen Strukturen aufzubauen und den Raum mit einem All-over der Bewegungen ähnlich wie in der Malerei der abstrakten Expressionisten zu füllen, entstanden seine Choreographien immer nahe an theoretischen und mathematischen Modellen. Seit einigen Jahren arbeitet er mit dem Computer, um Manipulationen der Perspektive, der Zeit, des Tempos und der Formen den realen Körpern entgegenzustellen. Im Schiller Theater ist er damit zum ersten Mal in Europa zu Gast.
Katrin Bettina Müller
Tanz im August: Vom 12. bis 19. August im Hebbel Theater und der Tanzwerkstatt
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