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Der Dorn im Auge des Champions

Alexej Schirow steht bei der Schach-WM von Las Vegas im Viertelfinale und ist auf dem besten Weg, zum größten Rivalen von Garri Kasparow zu werden    ■ Von Hartmut Metz

Berlin (taz) – Die K.o.-WM des Weltverbandes Fide bereitet Garri Kasparow Verdruss. Das kaschieren auch die missglückten ironischen Einlagen nicht, die der weltbeste Spieler im Internet verbreitet. Im „ClubKasparov“ schüttet der Moskauer in seinen Kommentaren bevorzugt Hohn und Spott über den 100 Teilnehmern in Las Vegas aus. Dabei ärgert den 36-Jährigen letztlich nur eines: Dass man ohne ihn auskommt und sich am 28. August ein weiterer Großmeister mit dem Titel Weltmeister schmückt.

Nur zum Auftakt der zweiten Runde durfte Kasparow herzlich lachen. Bevorzugt amüsieren ihn nämlich Missgeschicke seiner Gegner. Und ausgerechnet sein derzeit erbittertster bescherte ihm das Vergnügen. Alexej Schirow patzte. Die Niederlage gegen den Bosnier Ivan Sokolov konnte der Wahlspanier aber in der zweiten Partie und dem folgenden Tie-Break wettmachen. Damit bestätigte der 27-Jährige in Abwesenheit von Kasparow, Viswanathan Anand (Indien) und Alexander Morosewitsch, den Nummern zwei und vier, sowie Titelverteidiger Anatoli Karpow seinen Ruf als WM-Anwärter. „Er ist momentan in blendender Form“, konstatiert der Bulgare Weselin Topalow. „Schirow verzeichnet derzeit große Erfolge. Ich sympathisiere sehr mit seiner Art Schach“, adelt ihn gar der sonst der jungen Garde gegenüber so kritische Altmeister Viktor Kortschnoi.

Den Ritterschlag verdiente sich der „Hexer von Riga“ in Prag. Kasparow hatte ihm dort sein mit 100.000 Dollar dotiertes Match gegen die weltbeste Dame, Judit Polgar, überlassen. Quasi zur Befriedung für einen entgangenen WM-Kampf seines eigenen Verbandes, dessen Name wegen der abgewickelten PCA und WCC im Dunkeln bleibt. Nachdem Anand zunächst keine Lust verspürt hatte, erwarb Ersatzmann Schirow durch einen 5,5:3,5-Sieg über den Weltranglisten-Dritten Wladimir Kramnik das Recht als Herausforderer. Weil Anand jedoch eine Kehrtwende vollzog, befand der egozentrische Kasparow, für ein Millionenduell mit Schirow fänden sich keine Sponsoren. Seit dem Juli-Match steckt der Russe gleich doppelt in der Klemme: Zum einen mangelt es ihm an einem Zahlungskräftigen, der den zweiten Wettkampf mit Anand nach 1995 unterstützt. „Wasser auf meine Mühlen“ verspürte Schirow, als sich „Ehrengast“ Kasparow in Prag rund eine halbe Stunde lang lautstark mit den für die Organisation der WM beauftragten Bessel Kok und Serge Grimaux stritt. Zum anderen glänzte Schirow auf dem Brett. Er heimste nicht nur die „Abfindung“ von 65.000 Dollar für den Sieger ein, sondern deklassierte durch ein sensationelles 5,5:0,5 seine bisherige Angstgegnerin Judit Polgar. „Ich halte nicht viel von Kasparows Weltrangliste. Aber er ist es, der immer behauptet, diese sei genauer als jene der Fide“, erklärte Schirow und schob schmunzelnd nach, dass er eben dort auf Rang zwei vorgerückt sei – noch vor Anand.

Der früher so labile Schirow demonstrierte beim Sprung ins Viertelfinale in Las Vegas, dass er nervlich gestärkt ist. Nachdem er sich die Runde zuvor noch gegen den Brasilianer Gilberto Milos im Tie-Break hatte mühen müssen, kehrte beim 1,5:0,5 über Nigel Short endlich wieder die Brillanz in sein Spiel zurück. Tollkühn opferte der 27-Jährige in Partie eins sogar die Dame für nur einen Turm. „Ich komme langsam in die richtige Form“, meinte Schirow anschließend. Als der gewiefte Taktiker aus England im zweiten Duell mit dem alten Königsgambit die Brechstange ansetzte, erstickte der Weltranglisten-Fünfte Shorts Initiative mit einem Rückopfer. So viel Wagemut fehlt der Konkurrenz. Um das Preisgeld von 35.000 auf 42.000 Dollar zu steigern, remisierten sich sechs Paare in den Tie-Break, der vergangene Nacht stattfand. Nur Wladimir Akopjan (Armenien) durchbrach mit dem 1,5:0,5 über Kiril Georgiew (Bulgarien) die Serie und sicherte sich die knapp 70.000 Dollar für die Viertelfinalisten ohne Abzüge.

Das diplomatische Gezerre vor der WM scheint Schirow verdaut zu haben: Der in Scheidung lebende Spanier wird alsbald zum zweiten Mal Vater. Seiner Zukünftigen, der polnischen Großmeisterin Marta Zielanska, war aus diesem Grund in der Warschauer US-Botschaft rüde bedeutet worden, dass sie kein Visum für die WM erhalte. Bei einer Geburt in den USA stünde dem Kind die US-Staatsbürgerschaft zu. Entweder fliegen beide oder keiner, beschloss Schirow. Die Fide setzte sich für ihn ein, um zu verhindern, dass Kasparow über eine weitere Absage eines Topspielers frohlockt. Der Dorn im Auge sticht. „Wahrscheinlich war Sokolov vor der zweiten Partie gegen Schirow zusammen mit seinem Kumpel Jan Timman einen saufen“, geiferte Kasparow angesichts der verpassten Chance, den lästigen Herausforderer endlich los zu werden.

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