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Die Mühen der Ebene

Acht Ministerinnen, eine Parlamentspräsidentin, ein Drittel weibliche Abgeordnete – Südafrikas Frauenpolitik scheint erfolgreich. Das zumindest macht das neugewählte Parlament glauben, das nun seine Arbeit aufnimmt. Den Alltag beschreibt  ■ Kordula Doerfler

An einem staubigen Wintertag 1956 wagten fast zwanzigtausend südafrikanische Frauen etwas Unerhörtes. Aus Protest gegen die Verschärfung der Passgesetze für schwarze Frauen zogen sie in Pretoria vor den Sitz der Apartheidregierung und ließen sich dort auf dem Rasen nieder. Sehr zum Ärger der weißen Machthaber wurde die Demonstration auch noch von einer weißen Frau mit angeführt, der Bürgerrechtlerin Helen Joseph. Ihren Mut bezahlte sie mit lebenslänglichen Schikanen des Regimes.

Zum Jahrestag der Veranstaltung, dem 9. August, kommen seit dem Fall der Apartheid noch immer mehrere Tausend Frauen in die Hauptstadt, und die erste demokratische Regierung des Landes unter dem nun pensionierten Präsidenten Nelson Mandela erhob den 9. August sogar zum nationalen Feiertag – Frauentag in Südafrika ist nicht wie andernorts auf der Welt der 8. März.

Auch in diesem Jahr wurde der Tag aufwendig begangen, begleitet von einem „Monat der Frau“ mit Veranstaltungen in allen Teilen des Landes. Eine Freudenfeier allerdings war es nicht – trotz der immensen Fortschritte, die seit 1956 erzielt wurden und erst recht seit dem demokratischen Wandel. Waren Frauen im Apartheidregime ideologisch an Heim und Herd verbannt, sind sie heute in allen Bereichen des öffentlichen Lebens präsent.

Vor allem in der Politik hat die Zahl von Frauen enorm zugenommen. Wenn sich in diesen Tagen die Anfang Juni gewählten Mitglieder des Parlaments in Kapstadt zur neuen Legislaturperiode einfinden, sind von vierhundert Abgeordneten 119 Frauen – ein Drittel. Damit liegt Südafrika im internationalen Vergleich weit oben, erst recht in der Dritten Welt, und es gehört zu den wenigen Ländern, deren Parlament eine Frau vorsteht.

Die profilierte Menschenrechtsanwältin Frene Ginwala (ANC) ließ sich zwar anfänglich nur widerstrebend von der Partei dazu verpflichten, dieses Amt noch einmal auszuüben. Doch die ebenso resolute wie eigenwillige 67-jährige, stets im eleganten Seidensari, hat es verstanden, die Transformation des Parlaments voranzutreiben – und auch die Frauenrechte. Ihre Stellvertreterin wurde ebenfalls eine Frau, eine weitere ANC-Politikerin ist die Vorsitzende der zweiten Kammer des Parlaments.

Auch Nelson Mandelas Nachfolger Thabo Mbeki erhöhte die Frauenquote in seinem neuen Kabinett: acht von 29 Ministern sind jetzt weiblich, dazu acht von dreizehn stellvertretenden Ministern.

Grund zum Jubeln sehen die Politikerinnen dennoch nicht. „Mit Verlaub: Wir erreichen höchstens ein Viertel der Bevölkerung“, sagt Parlamentspräsidentin Ginwala. Frauenrechte und Frauenfrage spielen im politischen Alltag keine große Rolle. Die sogenannten harten Ressorts gingen fast ausnahmslos an Männer, und zu seinem Stellvertreter machte Mbeki mit Jacob Zuma zur Enttäuschung vieler Frauen im ANC einen Mann. Wichtigste Frau im Kabinett ist nun Außenministerin Nkosazana Zuma, die unter Mandela äußerst umstrittene Gesundheitsministerin (siehe Porträt).

Die ehemalige Befreiungsbewegung ANC nimmt es trotzdem ernst mit Frauenrechten und tritt für eine „nichtrassistische und nichtsexistische Gesellschaft“ ein. Die ANC-Frauenliga, deren Präsidentin Winnie Madikizela-Mandela heißt, ist zwar zerstritten, aber bis heute die mächtigste Frauenorganisation des Landes. Seitdem der ANC in Südafrika regiert, wurde eine Flut von Gesetzen verabschiedet, die Frauen besser stellt und ihnen mehr Rechte einräumt. Jüngstes Beispiel ist das Gesetz zur Gleichstellung am Arbeitsplatz: Bisher „benachteiligte Gruppen“, also Schwarze und Frauen, müssen nun bevorzugt eingestellt und befördert werden.

Es war auch der ANC, der dafür sorgte, dass Gleichberechtigung und ein Verbot von Diskriminierung im Grundrechtekatalog der 1996 verabschiedeten ersten demokratischen Verfassung des Landes verankert wurden. Das Dokument trägt zwar Zeichen des historischen Kompromisses zwischen alten und neuen Machthabern, wurde aber weltweit wegen seiner Fortschrittlichkeit gerühmt. Darin sind auch unabhängige Gremien wie eine Menschenrechtskommission und eine „Kommission für Geschlechtergleichheit“ vorgeschrieben, die Verstöße gegen Menschenrechte und Diskriminierung von Frauen im Alltag aufspüren und öffentlich bekannt machen sollen.

Grund, solche Institutionen zu schaffen, gibt es genug. Denn zwischen den hehren Prinzipien der Verfassung, schönen Zielen in Parteiprogrammen und dem gesellschaftlichen Alltag in Südafrika liegen Welten. „Der Frauentag in diesem Jahr ist überschattet von der ausufernden Gewalt gegen Frauen und den steigenden Aids-Raten vor allem unter Mädchen und jungen Frauen. Wir sollten stattdessen lieber trauern“, sagt die Vorsitzende der „Kommission für Geschlechtergleichheit“ (CGE), Joyce Piliso-Seroke.

Die Statistiken geben ihr Recht. Zwar machen Frauen mit 51,9 Prozent die Mehrheit in der Gesellschaft aus, ein Großteil aber lebt noch immer in Armut und ohne jegliche Schulbildung, vor allem in den ländlichen Gebieten. Dort sind die Frauen zwar faktisch die Familienvorstände, weil die meisten Männer weit weg in den großen Städten arbeiten, juristisch und ökonomisch aber sind sie rechtlos.

In den schwarzen Townships am Rande der Städte, wo die schwarze Bevölkerungsmehrheit trotz der Aufhebung der Apartheid bis heute überwiegend wohnt, sind zwar die Lebensbedingungen meist etwas besser. Die Kriminalitätsstatistiken allerdings weisen vor allem schwarze Frauen als die am schlimmsten betroffene Gruppe von Gewaltopfern aus. Durchschnittlich alle 60 Sekunden wird in Südafrika eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt, weltweit ein trauriger Rekord. In fast der Hälfte aller Fälle, so die Frauenorganisation Powa (“People Opposing Women Abuse“), sind die Täter Familienangehörige oder Bekannte. Doch Gewalt gegen Frauen gilt in Südafrika als Kavaliersdelikt, das nur selten geahndet wird.

Auch fast zehn Jahre nach der Freilassung Nelson Mandelas ist Südafrika eine zutiefst gewaltbereite und patriarchale Gesellschaft, in der Millionen von Schusswaffen legal im Umlauf sind. Hohe Arbeitslosigkeit, die Verrohung während der Apartheid, Zerfall der Familienstrukturen und enges Zusammenleben in den Townships bereiten den Nährboden für Alltagsgewalt, die entgegen den Katastrophengesängen der weißen Minderheit noch immer vor allem die Schwarzen trifft. Polizei und Justiz sind überfordert, schlecht bezahlt und noch längst nicht funktionierende Organe eines demokratischen Rechtsstaats.

Einfache Lösungen, das wissen auch die Politiker, gibt es dafür nicht. Der ANC setzt vor allem darauf, Arbeitsplätze zu schaffen und dadurch endlich die Lebensverhältnisse der Mehrheit zu verbessern. Dann, so hofft man, wird auch der soziale Sprengstoff entschärft. Populistischem Geschrei nach der Wiedereinführung der Todesstrafe ist die Parteiführung bisher widerstanden, obwohl dies durchaus auch eigene Mitglieder fordern.

Die „Nationale Partei“ dagegen schreckte nicht davor zurück, mit Sprüchen wie „Hängt Mörder und Vergewaltiger“ Wahlkampf zu machen. Selbst die profilierteste Politikerin der Partei, Sheila Camerer, hält die Todesstrafe für schwere Vergewaltigung für ein probates Mittel zur Abschreckung von Tätern. „Die Todesstrafe erfüllt diese Funktion nicht“, kontert die ANC-Politikerin Joanne Fubbs und verweist auf einschlägige Studien. Wie viele andere in ihrer Partei glaubt sie an eine Umerziehung des Menschen hin zu einer besseren Gesellschaft.

Liest man die Programme verschiedener Parteien, ähneln sich die Forderungen in der Frauenpolitik im Detail: Frauen müssen eine bessere Bildung erhalten, stärker am ökonomischen Prozess beteiligt werden und in allen gesellschaftlichen Bereichen stärker präsent werden, heißt es da übereinstimmend. Die Frauenorganisationen bleiben dennoch skeptisch: „Selbst wenn Frauenrechte ganz oben auf der politischen Agenda stehen, werden sie oft nicht in die Tat umgesetzt“, sagt Kailash Bhana von Nisaa, einem Institut für Frauenförderung in der Nähe von Johannesburg, das Gewaltopfern Schutz und Beratung bietet. „Und selbst wenn es Gesetze zur Besserstellung von Frauen gibt, heißt das noch lange nicht, dass sie beachtet werden.“

Bis es so weit ist, glaubt auch Colleen Lowe Morna von der Kommission für Geschlechtergleichheit, ist es noch ein weiter Weg: „Einstellungen ändern sich nicht über Nacht, nur weil es die richtigen Gesetze gibt.“

Die erste Studie innerhalb Südafrikas, mit der CGE jetzt solche Einstellungen untersuchen ließ, macht das mehr als deutlich: Immerhin 14 Prozent aller südafrikanischen Männer glauben, dass Frauen gelegentlich Prügel brauchen, unter Schwarzen ist es sogar ein Viertel. 56 Prozent erklärten, dass ihre jeweilige Religion sie lehre, dass Männer Frauen überlegen seien, und 60 Prozent aller Männer treffen in den Familien die finanziellen Entscheidungen.

Kordula Doerfler, 38, berichtet aus Johannesburg für die taz, epd und verschiedene Schweizer Medien.

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