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„Ich bin ja zu Schönerem, bin zur Ruhe fähig“

Warum Europäer endlich mehr Chinesisch lernen sollten: 400 Sinologen suchten in Hannover neue Motivationsformen  ■   Von Shi Ming

Olivia T. (24) aus Berlin lernt seit fünf Jahren Chinesisch. Fließend reden kann sie schon. Und am Telefon ein Lied auf Chinesisch singen? Nichts leichter als das. Sogar Experten der China-Redaktion bei der Deutschen Welle haben sie kürzlich erst nach einem längeren Telefongespräch als Nicht-Chinesin enttarnt. Die nächste Herausforderung für Olivia, die demnächst zum ersten Mal nach Peking fliegt, um ein Jahr lang ihre Sprachkenntnisse zu vertiefen: Chinesisch so reden zu können, dass man auch an der Bewegung ihrer Gesichtsmuskel keinen Unterschied zu einer Muttersprachlerin mehr bemerkt.

„Chinesisch reden ist nicht so schwer, wie man denkt“, behauptet auch der Mainzer Professor Peter Kupfer, einer der Initiatoren des 6. Internationalen Symposiums für Chinesisch als Fremdsprache, das in der vergangenen Woche in Hannover stattfand. Ja, in zehn bis zwanzig Jahren werde Chinesisch den Deutschen nicht mehr so fremd sein wie bisher, hofft er. Es scheint allerdings alles andere als sicher, dass Kupfers Hoffnungen nicht trügen. Warum sollten sich Schüler, Studenten, Touristen und Manager hierzulande mit jener Sprache ernsthaft befassen, die immerhin von einem Viertel der Menschheit gesprochen wird? Das war eine der zentralen Fragen des fünftägigen Symposiums. Für Deutschland ist diese Frage akut. Denn bald wird Chinesisch hier als Abiturfach eingeführt. Schon heute bieten 40 Gymnasien Chinesischunterricht an. Zumeist noch als freiwilliges Zusatzfach. Die meisten Schüler und Schülerinnen geben die fremde Sprache allerdings sehr schnell wieder auf, berichtet Kupfer. Die Gründe: erheblicher Arbeitsaufwand und unklare Lernmotive.

Olivias Lernmotiv war edel: Sie wolle das Land kennenlernen und die Menschen verstehen. Zudem ist für sie die Aussprache der fremden Sprache nicht so schwierig wie für andere, da sie seit Jahren Gesangsunterricht nimmt und daher die vier verschiedenen Töne jeder chinesischen Silbe leicht heraushören kann. Ein gutes Gehör ist zum Chinesischlernen unerlässlich.

Umso schwieriger ist das Schriftsystem mit einer halben Million Schriftzeichen. Allein fürs Lesen braucht man 8.000 davon, berichtet Andreas Guder aus dem pfälzischen Germersheim. Er selbst habe zwei intensive Studienjahre gebraucht, nur um richtig lesen zu können. „Vom Schreiben will ich gar nicht erst reden.“ Es gebe in Deutschland kaum jemanden, der gut Chinesisch schreiben könne. Aber zu Forschungszwecken hat Guder, der heute einer der wenigen Experten für chinesische Orthographie ist, Opfer gebracht, die er von anderen nicht erwartet. Ja, er rät sogar davon ab: „Wenn man mit Chinesen nur ein bisschen plaudern möchte, soll man sich lieber nicht auf die Schrift einlassen.“

Es gibt viele europäische Geschäftsleute, die wenigstens etwas Smalltalk-Chinesisch beherrschen wollen. Dieses Lernmotiv ist allerdings stark konjunkturabhängig: 1997, vor der Asienkrise, hatte das Bildungsministerium in Peking über 50.000 Europäer registriert, die für viel Geld nach China kamen, um hier Sprachunterricht zu nehmen. 1998 sank diese Zahl auf knapp 40.000. Zudem wollten die meisten in die exotische Sprache nur so reinschnuppern, klagt Professor Zhang Dexin, Generalsekretär der Weltvereinigung „Chinesisch als Fremdsprache“.

Das Ringen der Sprachpädagogen um ein überzeugendes Motiv zum Chinesischlernen trägt in diesen Tagen in Hannover manchmal wunderliche Blüten. Professor Cui Yonghua, Vizerektor der Pekinger Universität für Sprache und Kultur, erzählt eine Geschichte aus seinem eigenen Leben: Er war ein aufmüpfiger Junge, berichtet er, bis ihm seine Rektorin sechs Einzelstunden pro Tag verordnete. In jeder dieser Stunden durfte er nur 16 Zeichen schreiben, lieber weniger als mehr. Nach einer Woche kehrte der Junge verwandelt in seine Klasse zurück. „Ich erkannte, ich bin ja zu Schönerem, bin ja zur Ruhe fähig.“

Chinesisch als eine Art Yoga-Ersatz? Nein, das ist für kaum jemanden eine wirkliche Lernmotivation, haben Sprachstatistiker bei Umfragen unter Europäern festgestellt.

Was dann? Eine andere Möglichkeit präsentiert Professor Jeöl Bellassen aus Paris. Nach langjährigen Experimenten an einer Pariser Schule stellte er fest: Im Gegensatz zur lateinischen ermögliche die chinesische Schrift Kindern, den Raum innerhalb der winzigen Fläche der Schriftstriche sinngebend und schön zu gestalten. Hinzu komme die Anregung der Fantasie. Sein Beispiel: Das Schriftzeichen „an“ („Ruhe“ und „Friede“) besteht aus zwei Teilen. Der eine Teil heißt „Dach“, der andere „Frau“. Also könnte man doch interpretieren: „Ruhe“ und „Friede“ findest du nur, wenn du eine Frau unterm Dach hast (er meint: wenn du verheiratet bist). Außerdem trainierten Schreibübungen dieser Art bei Kindern deren rechte Gehirnhälfte, was man vom geringen Variantenreichtum der lateinischen Schriftzeichen nicht erwarten könne.

Nach der fünftägigen Fachdiskussion sind sich die 400 Sprachpädagogen nur in einem einig: Als Lernmotiv für die Europäer genügt es nicht, darauf hinzuweisen, wie wichtig China für die Welt ist. Allein die Tatsache, dass Chinesisch die meistgesprochene Sprache der Welt und eine der wenigen Arbeitssprachen der UNO ist, reicht nicht, um auch nur ein einziges Kind in Deutschland zu motivieren, in 45 Unterrichtsminuten 16 chinesische Schriftzeichen zu pinseln. Wie förderlich das für Intelligenz, Fantasie und Charakter auch sein mag.

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