piwik no script img

■ Das Diepgen des TagesPostbote des Souveräns

Der Mann ist der Vezweiflung nahe. „Der Postverteilungsweg ist noch nicht eingespielt“, entfährt es ihm. Morgen soll die größte, die SPD-Fraktion des Bundestages, über das „Sparpaket“ abstimmen. Und bei ihm, dem Referenten der SPD-Fraktion, ist es nicht angekommen. Ausgerechnet dieses Paket! Die größte Sparaktion in der Geschichte der Republik: 30 Milliarden Mark. Den Referenten für Haushalt hat das Zukunftsprogramm nicht erreicht. Er resigniert. „Dieses Problem hatten wir in Bonn nicht.“

Die Verteilung der vielen Post- und Drucksachen an die Volksvertreter hat Bonner Niveau noch lange nicht erreicht. Vielleicht war die Stadt am Rhein übersichtlicher – in Berlin jedenfalls kommt nichts an. Immerhin, es ist unterwegs, das wenigstens weiss man sicher. Aber wo ist die Bundestags-Drucksache zum Haushalt 2000 abgeblieben?

„Welche Drucksachen-Nummer?“ Ralf S.. macht einen mürrischen Eindruck. Er arbeitet in jener Stelle, bei der die gesamte Bundestags-Distribution zusammengefasst ist: Die Postverteilstelle. „Also“, fragt Ralf S., „die Nummer?“ Man kennt sie nicht. Niemand kennt das Siegel, das die unerforschlichen bürokratischen Kräfte der Drucksache verpasst haben, auch Ralf S. nicht.

Dabei geht es ihm noch gut. Er herrscht in einem lichtdurchfluteten Raum vor dem Platz der Republik über alle wichtigen Briefe, er ist „Der Postbote des Souveräns“. Vielleicht weiß sein Chef Bescheid? „Der Chef ist nicht da.“ – Wann kommt er wieder? – „Die ganze Woche nicht.“ – Sein Stellvertreter? „Ist auch weg“, gibt Ralf zurück, „die sind alle drei nicht da“, sagt er und verweist an die Drucksachenstelle.

Die Drucksachenstelle, wieder eine administrative Instanz, von der wir nie etwas gehört haben. Man fühlt sich wie Kafkas Romanfigur, die im „Schloss“ herumirrt, ohne je den Absender oder Adressaten einer bürokratischen Maßnahme ausfindig zu machen.

Frau Gehlhoss in der Drucksachenstelle weiß aber sofort Bescheid: „Das Haushaltsgesetz hat die Drucksachennummer 14/1400.“ Aber wie herankommen? „Das ist überhaupt kein Problem“, sagt sie. „Jeder Bürger kann sie sich abholen. Im Reichstag, Eingang Nord. Zimmer 01718, in der 1. Etage.“ Das sollte man auch der SPD-Fraktion erzählen.

Molly Bluhm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen