: Jordanien setzt Hamas vor die Tür
Die Polizei des Königreiches stürmt die Büros der islamistischen Palästinenserorganisation. Doch deren Führungsspitze weilt im Ausland. Die Wahl des Zeitpunktes dürfte Absicht sein ■ Von Thomas Dreger
Berlin (taz) – Der Besuch kam überraschend und war unerwünscht. Am Montagnachmittag stürmten Polizisten in der jordanischen Hauptstadt Amman Büros der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas und nahmen etliche ihrer Mitglieder fest. Die Büros wurden geschlossen. Zur Begründung hieß es aus dem Innenministerium, die als Geschäftsräume deklarierten Büros seien „für Aktivitäten genutzt worden, die nicht mit den erteilten Lizenzen übereinstimmten.“
Nach Augenzeugenberichten wurden insgesamt zwölf Hamas-Aktivisten festgenommen. Nicht dabei ist allerdings die Führungsspitze der Organisation. Zwar wurden gegen den Sprecher Ibrahim Ghoscheh, den früheren Vorsitzenden des Politbüros, Musa Abu Marsuk, seinen amtierenden Nachfolger Chalid Mischal und ihren Jordanien-Vertreter Muhammad Nasal Haftbefehle erlassen, doch alle vier weilen derzeit im Ausland, angeblich in Syrien oder in Iran.
Die Wahl des „falschen“ Zeitpunktes dürfte jedoch beabsichtigt gewesen sein. Im Exil sind die prominenten Islamisten für Regierung und Königshaus weniger gefährlich denn als politische Häftlinge im eigenen Land. Die Büros in Amman bildeten die wichtigste Auslandsvertretung von Hamas. Allerdings hatten sich etliche der Exilislamisten mit ihren Brüdern in den palästinensischen Autonomiegebieten überworfen. Den Exilanten waren die Aktivisten im Gaza-Streifen und Westjordanland in den letzten Jahren zu moderat geworden. „Ich glaube nicht, dass die Massnahme die Aktivitäten von Hamas beeiträchtigen wird“, meldete sich denn gestern auch in Gaza Hamas-Sprecher Mahmud al-Sahar zu Wort. „Die Stärke und der Körper der Gruppe sind in Palästina.“
Israel und die USA hatten Jordanien seit langem gedrängt, die islamistischen Gegner des Friedensabkommens zwischen Israelis und Palästinensern zum Schweigen zu bringen – bisher vergeblich. Jordaniens im Februar verstorbener König Hussein nutzte die Islamisten in seinem Poker mit Israel und den Palästinensern. Als sich vor zwei Jahren israelische Geheimdienstler in Amman bei dem Versuch erwischen ließen, Hamas-Chef Chalid Mischal zu vergiften, ergriff der König die Chance, um Israels damaligen Regierungschef Benjamin Netanjahu bloßzustellen. Nicht nur, dass die Israelis das Gegengift liefern mussten, um Mischal zu behandeln. Hussein setzte zudem durch, dass sie den zu lebenslanger Haft verurteilten Hamas-Gründer Ahmad Jassin erst zur medizinischen Behandlung nach Amman und dann zurück in Gaza in die Freiheit entließen.
Hussein wusste, warum: Bis zu 70 Prozent der Einwohner Jordaniens sind palästinensischer Herkunft, die meisten von ihnen sogenannte 48er-Flüchtlinge. Unmittelbar nach der Gründung des Staates Israel vertrieben, gehen ihre Chancen auf Rückkehr gegen null. In dem zwischen Israel und der PLO vor sechs Jahren geschlossenen Gaza-Jericho-Abkommen kommen sie nicht vor. Ihre Sympathien für Organisationen, die wie Hamas das Abkommen ablehnen, sind entsprechend groß. Durch seine Rolle im Fall Mischal sicherte sich der König, der 1994 selbst einen Friedensvertrag mit Israel unterschrieben hatte, den Zuspruch etlicher seiner Feinde.
Seinen „tiefsten Schmerz und Kummer“ drückte Hamas-Gründer Jassin denn auch nach dem Krebstod des Monarchen im Februar dieses Jahres aus. Der Verstorbene sei ein „großer Verlust, nicht nur für Jordanien, sondern auch für die arabische und islamische Welt“. Zumindest für Hamas hat sich dass nun bewahrheitet. Der als noch prowestlicher als sein Vater geltende König Abdallah hat sich den Wünschen aus Jerusalem und Washington gefügt. Welche Belohnung dem Herrscher des wirtschaftlich maroden Wüstenstaates dafür versprochen wurde, ist noch nicht bekannt. Innenpolitisch dürfte sich der 37jährige jedoch Probleme eingehandelt haben. Eine der ersten Verurteilungen der Razzia gegen Hamas kam von den jordanischen Muslimbrüdern – der einflussreichsten Oppositionsgruppe des Königreichs.
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