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Gemeinsam schweigen statt aufeinander schießen

■ Heute beginnt in Nordirland ein Versuch zur Wiederbelebung des Friedensprozesses

Dublin (taz) – Wenigstens sitzen sie wieder am Runden Tisch, auch wenn sie nicht miteinander reden. Die nordirischen Parteien tagen ab heute in Belfast, um den Friedensprozess unter Leitung des ehemaligen US-Senators George Mitchell erneut in Gang zu bringen. Mitte Juli waren die Verhandlungen abgebrochen worden, weil die Ulster Unionist Party (UUP), Nordirlands größte Partei, Sinn Féin die beiden Ministerposten in der Allparteienregierung verweigerte, weil ihr bewaffneter Flügel, die Irisch-Republikanische Armee (IRA), keine Waffen herausgerückt hatte. Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams sagte, das liege weder in der Macht seiner Partei, noch sei es im Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998 vorgeschrieben. Adams hatte Anfang Juli die Abrüstung lediglich als „freiwillige Verpflichtung“ akzeptiert.

Was das konkret bedeutet, ist jedoch unklar. An den Positionen beider Seiten hat sich seitdem nichts geändert – bis auf eins: Die Unionisten lehnen inzwischen jeden direkten Kontakt mit Sinn Féin ab. Seit Unterzeichnung des Belfaster Abkommens hat die IRA nämlich 5 Menschen ermordet, 153 bei Strafaktionen verletzt und 442 unter Mordandrohungen des Landes verwiesen. Auf der anderen Seite, bei den Loyalisten, sind die Zahlen allerdings ähnlich: 6 Morde, 174 Strafaktionen, 380 Landesverweisungen. Der Waffenstillstand beider Seiten sei intakt, entschied die britische Nordirlandministerin Marjorie Mowlam dennoch vor zwei Wochen und erzürnte damit die Unionisten. Jeffrey Donaldson, der UUP-Hardliner, will gegen Mowlams Entscheidung vor Gericht ziehen. Kommt er mit seiner Klage durch, müsste die Freilassung der politischen Gefangenen gestoppt werden. Dann wäre wohl auch der Friedensprozess am Ende. UUP-Chef David Trimble ist pragmatischer. Nach dem jüngsten IRA-Mord im August ernannte Trimble ein dreiköpfiges Verhandlungsteam, das mit Sinn Féin Alternativen zur Ausmusterung der Waffen erörterte. „Es wäre sehr hilfreich, wenn Sinn Féin sich äußern würde“, sagte Trimble am Samstag. „Wenn die Partei erklärt, dass der Krieg der IRA vorbei ist, würden wir unsere Ohren spitzen und vielleicht wieder offiziell mit ihnen reden.“

Trimbles stillschweigendes Eingeständnis, dass mit einer Herausgabe der IRA-Waffen vorerst nicht zu rechnen ist, hat ihm in seiner eigenen Partei Kritik eingebracht. Bei anderen Punkten, etwa der Reform der fast ausschließlich protestantischen Polizei, tritt Trimble deshalb kompromisslos auf. Dennoch befürchten viele Unionisten, dass die heute beginnenden Verhandlungen ihnen am Ende Zugeständnisse abverlangen werden, die zur Spaltung ihrer Partei führen könnten.

Die Verhandlungen werden ohne John Hume stattfinden, dem voriges Jahr gemeinsam mit Trimble der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Hume, Chef der katholischen sozialdemokratischen SDLP, liegt seit vorletzter Woche auf der Intensivstation eines österreichischen Krankenhauses, wo er zweimal am Darm operiert wurde. Für die SDLP ist Humes Abwesenheit ein großes Handicap. „Ob es einem gefällt oder nicht“, sagte ein Parteikollege, „John ist die SDLP.“ Ohne ihn steigen Sinn Féins Chancen, die SDLP in der Wählergunst zu überrunden – ein erklärtes Ziel von Gerry Adams. Früher beherrschte das Verhältnis zwischen den Unionisten und der SDLP die nordirische Politik, heute sind es UUP und Sinn Féin. Allerdings ist Adams in seiner Partei keineswegs unumstritten. Nachdem der Sinn-Féin-Vorstand am Samstag beschlossen hatte, an den Belfaster Verhandlungen teilzunehmen, erklärte Vizepräsident Pat Doherty, die Entscheidung sei „trotz eines tiefen Zynismus der Parteibasis gegenüber dem Friedensprozess“ gefallen. Die gewaltsamen IRA-Aktionen in den vergangenen Wochen dienten offenbar auch zur Beruhigung der Skeptiker in den eigenen Reihen. Ralf Sotscheck

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