piwik no script img

Die staubgrauen Männer des Apparats

■ Der ideale Generalsekretär ist ein hybrides Gewächs: Er dient und befiehlt. Wie etwa Erich H.

Berlin (taz) – Der General befiehlt, der Sekretär führt aus. Der General kommandiert das Heer, der Sekretär die Akten. Der „Generalsekretär“ ist ein hybrides Gewächs, ein Angestellter mit Charisma, dem gleichzeitig Schlachtenblut und Bürostaub anhaften.

Erich H. war einerseits der Chef, andererseits der oberste Subalterne des deutschen Realsozialismus. Im Gegensatz zu Generalissimus Josef Wissarionowitsch S., der mehr nach Blut als nach Akten roch, verkörperte er den Widerspruch im Begriff „Generalsekretär“ in idealer Weise. So was hatte die SPD nie aufzuweisen.

Parteisekretäre hat es bei den Sozialdemokraten von Anfang an gegeben, bezahlt und ohne demokratische Legitimation. Auf sie, die Staubgrauen, pflegte sich der Zorn der Parteireformer schon in der Weimarer Zeit zu richten. Nach dem großen organisatorischen Aufwasch Ende der fünfziger Jahre wurden sie abgeschafft.

Herbert Wehner wäre eigentlich aus dem Holz geschnitzt gewesen, das für Generalsekretäre das ideale ist. Er kannte alle Kader, alle Akten, alle Geheimnisse. Und er war hinreichend gewalttätig, um Gegnern, mehr aber noch Aktivisten der Partei sowohl Furcht als auch Bewunderung einzuflößen. Aber einen solchen Mann mit einer solchen Vergangenheit als Generalsekretär – das war ungefähr das Letzte, was Willy Brandt brauchen konnte.

Münteferings Lebenslauf ist in dieser Hinsicht glasklar. Er ist Sauerländer mit dem Parteistempel Westliches Westfalen. Zwar sind die alten sozialdemokratischen Tugenden in diesem Kernbezirk der Macht dahingeschwunden, aber Müntefering verkörpert sie noch. Vor allem : lebenslange Loyalität gegenüber der „Sache“, Härte gegenüber sich und mehr noch gegenüber den Genossen.

Schröder will Müntefering als obersten Bürochef in der Partei, als Helfershelfer bei dem Projekt, mit Hilfe eines Kriegs von der Spitze herunter die alte in eine „neue“ SPD umzumodeln. Aber kann er sich darauf verlassen, dass hinter Müntefering dem Sekretär nicht auch Müntefering der General hervorkommt? Dass hinter der eisernen Maske des Funktionärs nicht doch der Machtdämon lauert? Vielleicht war der neue Job doch keine so gute Idee. C.S.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen