: Bar auf die Tatze
Die meisten 630-Mark-Jobber gehören zu einer Gruppe mit leiser Lobby: Kleinverdiener, Zeitarbeiter. Nach dem neuen Gesetz scheinen viele von ihnen in Schwarzarbeit unterzuschlüpfen ■ Von Margret Steffen
„Ich würde ja gerne alle anmelden!“, sagt Iris über ihre Mitarbeiter, und Mariette nickt bestätigend. „Aber bei manchen geht es eben einfach nicht.“ Iris und Mariette sind Chefinnen einer Szenekneipe am Prenzlauer Berg. Hier kellnert und mixt die übliche Belegschaft: StudentInnen, Nebenjobber, Überlebenskünstler. Nach der Einführung des 630-Mark-Gesetzes mussten die beiden tricksen. Angemeldet sind jetzt beim Finanzamt vor allem die Studenten. Denn sie dürfen monatlich etwa 1.300 Mark steuerfrei verdienen. Unter diesem Volumen arbeiten im Laden nun noch andere Leute unangemeldet mit. Ein feiner Zug, finden die nicht studentischen Mitarbeiter. Der Stundenlohn blieb derselbe, keiner musste kündigen. „Für uns die einzige Möglichkeit“, sagen die Chefinnen. Die neuen Lohnnebenkosten könnten sie weder durch eine Lohnerhöhung ausgleichen noch könnten sie auf ihre Profis am Tresen verzichten.
Andere Kneipen melden wie bisher niemanden an. „Die hoffen nur, dass keine Razzia kommt“, sagt Iris. „Gefährlich“ findet das Anette Heinemann, Sprecherin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga). Das Arbeitsamt mache sehr wohl seine Kontrollen. Wo die Neuregelung gesetzestreu Anwendung fand, sank der Verdienst für Billigjobber von 630 auf 370 Mark. Der Dehoga hat nun eine Umfrage veröffentlicht, in der Gastro-Betriebe über die Auswirkungen des Gesetzes Auskunft geben. Mit den bisher knapp 700 Beteiligten lässt sich erste Bilanz ziehen: 36 Prozent der so erfassten Minijobber haben gekündigt, das sind fast 4.600. Der Verband verweist auch darauf, dass die Regierungspläne so nicht aufgehen: „Enttäuschende 367 neue sozialversicherte Arbeitsplätze wurden in diesen Betrieben geschaffen“, heißt es in der Auswertung. Wie erledigt sich die Arbeit der übrigen 4.200 ausgefallenen Jobber? „Überstunden für Chefs und Mitarbeiter, Preiserhöhungen“, sagt Sprecherin Heinemann. Alternative: Die Stellen fallen nur offiziell weg, laufen aber weiter – wie bei Iris und Mariette. Iris stellt sich seit April auch öfters selbst hinter den Tresen. So ist die geringe Zahl angemeldeter Mitarbeiter für das Arbeitsamt plausibel. „Nur die Dienstpläne sollte niemand finden“, sagt sie.
Den Aufschrei, der im April durch die betroffenen Branchen ging, werten Sprecher des Bundesarbeitsministeriums und des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) als Erfolg. „Da sehen Sie doch, wie verbreitet diese Arbeitsform war“, so Ute Hartmann vom DGB. Es ginge vor allem um die Leute, die neben einer Haupttätigkeit gejobbt hätten.
Statistiken über diese Gruppe wird es erst zum Jahresende geben. Doch die Proteste haben gezeigt, dass die Neuregelung bisher auf den Rücken von Arbeitgebern und Minijobbern bisher gleichermaßen verteilt wurde. So arbeiten viele Arbeitnehmer für etwas mehr als die Hälfte ihres bisherigen Einkommens aus Not weiter. Das beobachtet Anja Pasquay vom Verband Deutscher Zeitungsverleger vor allem in den wirtschaftlich schwächeren Regionen. Die Austräger arbeiteten zwischen 4 und 6 Uhr in der Früh und gingen danach ihrem Hauptberuf nach. Das Splitting einer Stelle in mehrere Jobs war gar nicht möglich. „Händeringend versuchen wir nun, tausende Kündigungen der Zusteller auszugleichen“, sagt Pasquay. Bei den Zustellern gebe es große Verunsicherung. Pasquay: „Viele haben gekündigt, obwohl sie gar nicht von der Neuregelung betroffen gewesen wären. Aus Angst vor Behördenkram geben die Leute von von vornherein auf.“
Die klassischen 630-Mark-Jobber gehören zu einer Gruppe mit leiser Lobby: Kleinverdiener, Schuldenträger, Zeitarbeiter. Auch im Taxigewerbe ist man „gelinde gesagt verzweifelt“, so Frederik Wilhelmsmeyer, Sprecher des Deutschen Verbandes Taxi- und Kurierfahrer.Von den etwa 70.000 Geringverdienern hat schätzungsweise ein Drittel gekündigt. Wilhelmsmeyer:„Für viele Miniunternehmen heißt es jetzt: Sozialhilfe oder Bezahlung nach BAT – Bar Auf Tatze.“
Den Weg in die Schwarzarbeit sieht auch Johannes Bungart von der Innung der Gebäudereiniger. 150.000 Kräfte kündigten bundesweit in seiner Branche seit April: „Das ist doch die einzige Alternative, die diese Leute noch haben.“
Das 630-Mark-Gesetz fördere die Schwarzarbeit, befürchteten Kritiker schon im Vorfeld. Das wird auch in Zukunft schwer zu belegen sein, doch aus der Dehoga-Umfrage ist ersichtlich, dass sich die Arbeit weggefallener Gelegenheitskellner nicht nur durch Überstunden erledigt.
Die BerlinerArbeitsvermittlungen Tusma und „Heinzelmännchen“ profitieren von der neuen Lage. Seit April werden „tendenziell mehr Studenten“ angefordert. „Heinzelmännchen“ will die neue Situation für die Eigenwerbung verwerten: Studenten sind derzeit die billigsten Arbeitskräfte.
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