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Serbiens unwillkommene Flüchtlinge

Über 200.000 Menschen mussten aus dem Kosovo nach Serbien fliehen. Dort stoßen sie auf Verachtung und Ablehnung. Für das Regime sind sie eine Erinnerung an seine Niederlagen, die Bürger haben ihre eigenen Probleme  ■   Aus Avala Andrej Ivanji

„Ich will dir sagen, was geschehen ist. Verraten hat man uns. Milosevic hat uns im Stich gelassen“

Der Sonntag ist sonnig und warm. Nur zehn Kilometer vom Stadtkern Belgrads entfernt strahlt der beliebte Ausflugsort Avala idyllische Ruhe aus. Gar nicht idyllisch sind jedoch die Verhältnisse in der Herberge „Belgrad“, in der 121 serbische Flüchtlinge aus dem Kosovo schon drei Monaten leben. Niemand will etwas von ihnen wissen. Flüchtlinge sind für die meisten verarmten Bürger Serbiens nur ein lästiger, trauriger Gedanke und für das bankrotte Regime eine peinliche Erinnerung an all seine Niederlagen.

Das Restaurant und die Vorhalle der Herberge wurden in Schlafsäle umgewandelt, dicht gedrängt liegen Matratzen auf dem Boden. Auf dem Parkplatz sind einige Traktoren und alte Autos zu sehen. Eine Gruppe schäbig gekleideter alter Männer, Frauen und Kinder sitzt draußen in der milden Herbstsonne.

„Wir bekommen vom Internationalen Roten Kreuz einmal täglich zu essen, sonst sind wir völlig uns selbst überlassen. Kein Vertreter des Regimes hat uns bisher aufgesucht, niemand sagt uns, was mit uns geschehen soll. Wir sitzen hier rum und warten darauf, dass uns unser Schicksal einholt“, sagt der sechzigjährige Bozidar Antic aus Suva Reka. Ihr Status sei immer noch nicht geregelt, weder hätten sie eine gültige Krankenversicherung noch Fahrscheine oder Geld bekommen. Vor wenigen Tagen hätte er sich einen Zahn ziehen lassen müssen und sein letztes Geld dafür ausgegeben.

„Dabei haben sie mich in der Ambulanz noch beschimpft, geh doch zurück ins Kosovo, du dreckiger Albaner, wo du hingehörst, haben sie mir gesagt. Als Albaner bezeichnet man uns hier, uns, denen die Albaner die Häuser in Brand gesetzt haben“, sagt der alte Mann verbittert. Ihr Dialekt verrate sie, sobald sie den Mund aufmachten. Und wo immer sie hingingen, spürten sie, wie unerwünscht sie seien.

Die Menschen in der Herberge sehen gebrochen und besorgt aus. Vor allem schmerzt sie, dass sie die serbischen Behörden „mit einer unglaublichen Feindseligkeit“ empfangen hätten, als ob sie etwas verbrochen hätten.

„Ich will dir sagen, was geschehen ist. Verraten hat man uns. Miloševic hat uns im Stich gelassen“, sagt eine Frau mit schriller Stimme. Alles habe er ihnen versprochen, und sie hätten ihm geglaubt und alles verloren. Vier Tage lang hätten sie sich in ihren alten Autos und Traktoren nach Belgrad durchgeschlagen. Die serbische Polizei wollte sie zwingen, ins Kosovo zurückzukehren. Die KFOR, die sie hätte beschützen sollen, hätten sie nicht einmal zu Gesicht bekommen. Und als sie endlich angekommen seien, mussten sie sich ansehen, wie dort alle berauscht den Sieg feierten. „Ich habe einfach geweint, und ich weine immer noch. Das Herz will mir platzen“, sagt die Frau, und ihre Stimme erlischt.

Ihren sechzehnjährigen Sohn Zarko hat mit Mühe und Not ein Belgrader Gymnasium aufgenommen. Er hat jedoch keine Schulbücher, kein Geld, um sich wenigstens ein Heft und Stifte zu kaufen. „Sie ärgern mich in der Schule, ich sei ein Feigling, weil ich geflüchtet sei“, erzählt der Junge traurig und verstört lächelnd.

Die serbischen Flüchtlinge aus dem Kosovo sind in ganz Serbien verstreut. Das Regime will sie vor allem von den Großstädten fernhalten, um einen möglichen Aufstand der verbitterten Menschen zusammen mit der bürgerlichen Opposition zu verhindern und sie von neugierigen Blicken fernzuhalten. Denn allein die Existenz der Flüchtlinge widerspricht den Lügen der staatlichen Propaganda, die immer noch stur behauptet, Serbien habe im Krieg gegen die Nato einen historischen Sieg erkämpft. Doch einerseits ist die Öffentlichkeit in Serbien seit Jahren schon gegenüber Flüchtlingsproblemen abgestumpft. Andererseits wirken die serbischen Kosovaren, wo immer man auf sie stößt, so entmutigt, deprimiert und verängstigt, dass eine Aufruhr ihrerseits höchst unwahrscheinlich scheint. Die größte Sorge der Flüchtlinge in Avala ist, wie sie einen Heizkörper vor dem Einbruch des Winters besorgen können und ob ihre tägliche Ration Brot von 150 auf 300 Gramm erhöht wird.

Serbien ist ein Land der Flüchtlinge und Sozialfälle geworden. Allein aus dem Kosovo gibt es laut UNHCR 213.000 neue Flüchtlinge. Die 570.000 Vertriebenen aus Kroatien und Bosnien haben immer noch keinen geregelten Status und werden von internationalen humanitären Organisationen versorgt. Der Leiter des „World Food Program“ in Belgrad, der Österreicher Robert Hauser, geht davon aus, dass bis zum Jahresende weitere 800.000 Menschen in Serbien Hilfe bitter nötig haben würden.

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